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Wirtschaftsausblick 2024

17.01.2024

Die Deutsch-Niederländische Handelskammer startet das Jahr traditionell mit einem Wirtschaftsausblick. Diesmal schauen Bas Marteijn, Niederlande-Chef der Deutschen Bank, und Han ten Broeke, Direktor des The Hague Centre for Strategic Studies (HCSS ) als Experten auf dem Gebiet von Wirtschaft und Politik voraus auf 2024. Lesen Sie hier eine Zusammenfassung über die Top-Themen und Thesen, die in diesem Jahr für beide Länder relevant werden.

Beim Wirtschaftsausblick 2024 lag der Fokus nicht nur auf Wirtschaftsthemen, sondern auch auf der Politik – denn beides ist untrennbar miteinander verknüpft. Das gilt vor allem in einem Superwahljahr: Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist in diesem Jahr aufgerufen, an die Urne zu gehen. Darunter die USA, aber es stehen auch Europa-Wahlen an. Und Deutschland steht zwar nicht vor Bundestagswahlen, aber im September wird in drei Bundesländern gewählt. Und dort zeichnet sich schon jetzt ein möglicher Rechtsruck ab. Wie bei den Parlamentswahlen in den Niederlanden im vergangenen November.

Politik-Update: Bis wann steht die neue Regierung in den Niederlanden?

Han ten Broeke, Direktor des The Hague Centre for Strategic Studies (HCSS ), geht davon aus, dass noch mehrere Wochen und Monate verstreichen. „Viele Parteien wie die VVD befinden sich im Dilemma, weil sie nicht wissen, ob und inwiefern sie sich an einer Regierung mit der PVV von Geert Wilders beteiligen sollen.“ Die VVD hatte noch am Wahlabend ausgeschlossen, an einer Regierung beteiligt zu werden. Die Regierungspartei von Mark Rutte, der nach wie vor kommissarisch im Amt ist, ist zwar zweitstärkste Partei geworden, hatte aber den größten Stimmenverlust ihrer Geschichte. „Diesmal ist nicht unklar, welche Parteien miteinander eine Regierung bilden sollten, aber es ist unklar, in welcher Form das geschehen soll.“ Die vier stärksten Parteien PVV, VVD, NSC und BBB haben zwar eine Mehrheit, aber die Frage ist, ob alle Parteien eine Regierung unter einem Ministerprädient Wilders eintreten wollen. „Die Parteien könnten schon ziemlich leicht ein gemeinsames Regierungsprogramm miteinander aufstellen. Denn in punkto Migration und Asyl, ein Thema, das den Wahlkampf maßgeblich geprägt hat, sind sie sich weitgehend einig. Sie alle wollen den Zustrom begrenzen, und das ist auch das, was sich die meisten Wähler in den Niederlanden gewünscht haben“, so der Politik-Experte.

Würde denn Wilders das Opfer bringen, nicht selbst Premier zu werden, um eine Regierungskoalition bilden zu können? „Wenn er den Schlüssel zum „Torretje“ jemand anderem überlassen würde, dann sicher erst am Ende eines Regierungsbildungsprozesses. Und am ehesten an jemanden wie Ronald Plasterk.

Eine Alternative zu einer Mehrheitsregierung könnte nach Meinung von Ten Broeke ein außerparlamentarisches Kabinett sein. Ein solches Kabinett basiert nicht auf einer Koalitionsvereinbarung und auf keiner Mehrheitsregierung, sondern auf einem Regierungsprogramm. Einzelne Fraktionen suchen sich dann im gesamten Parlament und bei verschiedenen Fraktionen nach Unterstützung für das jeweilige zu besetzende Ministerium.

Zur Wirtschaft: Bleibt die Inflation 2024 in beiden Ländern unter Kontrolle?

Ökonomen sehen das Jahr 2023 als verlorenes Jahr, vor allem für Deutschland, aber auch für die Niederlande. Die großen Banken der Welt haben die Inflation massiv bekämpft. Und das scheint zu funktionieren. „Die Konsequenz der Intervention durch die EZB ist aber, dass viel Sauerstoff, viel Energy Drink, viel Zucker aus dem System geholt wurde, wodurch das ökonomische Wachstum begrenzt bleiben wird“, sagt Bas Marteijn, „das ist ein Problem für Europa, aber vor allem auch für Deutschland. Per Saldo suchen wir nach strukturellen Signalen, dass die Inflation sinkt und nach Lichtpunkten, um in Deutschland aus der Rezession zu kommen und in den Niederlanden vom Null-Wachstum zu einem kleinen Wachstum zu kommen.“ Seine Prognose für das Wachstum der Welt-Wirtschaft: Dies werde 2024 sinken, und das Wachstum, das es gebe, werde in aufsteigenden Märkten wie China, Indien, im Nahen Mittleren Osten und in Lateinamerika sein. Die EU und die USA bleiben laut Marteijn stabil. „Und spannend bleibt im Zusammenhang mit der Inflation und ihrer weiteren Entwicklung auch die Frage, ob es zur gefürchteten Lohn-Preis-Spirale kommt mit strukturellen Lohnsteigerungen kommt.“

Bleibt die Arbeitslosigkeit in Deutschland auf dem geringen Niveau?

Deutschland befindet sich allen Kriterien zufolge auf dem Weg in die Rezession und zugleich ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt angespannt, ebenso in den Niederlanden. Die Makroökonomie wird als schwach bezeichnet, wobei eine belangreiche Komponente hierbei, nämlich die Zahl der offenen Stellen und die hohen Gehälter normalerweise dem Szenario einer brummenden Konjunktur entsprechen. „Das ist das derzeitige Paradox“, sagt Marteijn.

Fachkräftemangel versus striktere Migrationspolitik. Welchen Weg sollten die Regierungen beider Länder gehen?

Das Paradoxon, das Marteijn bei der Makroökonomie-Betrachtung beschreibt, liegt auch bei dieser Frage vor und ist in den Niederlanden Diskussionsstoff in den Regierungsbildungs-Gesprächen. Der angespannte, leergefegte Arbeitsmarkt müsste eigentlich zu der Schlussfolgerung führen, dass die Arbeitsmigration ausgeweitet werden muss. Denn in den Niederlanden hat sich in den vergangen Jahren nicht nur die Zahl der Arbeitsmigranten vervierfacht, sondern in gleichem Maße die Stellenanzahl“, so Ten Broeke.

Wie Marteijn geht Ten Broeke davon aus, dass es sich hierbei um einen strukturell angespannten Arbeitsmarkt in beiden Ländern handelt und auch, wenn die Konjunktur nicht in Gang kommen sollte, wird der Fachkräftemangel für Unternehmen zu einem der größten Probleme für Unternehmer werden. Doch eine intelligente Fachkräftestrategie, um Arbeiter aus dem außereuropäischen Ausland anzuwerben, scheint derzeit in beiden Ländern nicht en vogue.

Von der Teilzeit- zur Mehrarbeit – und die muss sich lohnen

Ein anderer Lösungsansatz könnte in einem Land wie den Niederlanden, in dem Teilzeitarbeit so beliebt ist, sein, Mehrarbeit gezielt zu stimulieren. Mehrarbeit muss sich finanziell lohnen – das ist ein Credo, das die DNHK auch im vergangenen Jahr an die kommissarische Wirtschaftsministerin Micky Adriaansens während des DNHK-Unternehmerdialogs in Den Haag persönlich und so deutlich kommuniziert hat.

„Aber ganz lösen ließe sich das Problem auch so nicht. Denn nachfolgende Generationen wollen nur drei bis vier Tage arbeiten und würden in dem Fall zu einem anderen Unternehmen gehen, wenn dort Teilzeitarbeit möglich ist.“

Einigkeit gibt es auch beim Thema Abschaffung der 30% Regelung in den Niederlanden, mit Hilfe derer Arbeitgeber eine pauschale steuerfreie Zulage in Höhe von 30 Prozent der Gesamtvergütung gewähren könne, was Funktionen für hochqualifizierte Kräfte aus dem (außer-)europäischen Ausland attraktiv machte. Für Tech-Firmen wie ASML war und ist diese Steuerregelung für Expats ein erfolgreiches Mittel bei der Personalsuche, auch wenn sie in den vergangenen Jahren bereits in Teilen eingekürzt wurde. Eine komplette Anschaffung war Wahlkampfthema und kam inmitten der Debatte um Wohnungsnot und Flüchtlingsstrom beim Volk gut an. „Dass es Gesetze gibt, die für Ausländer besser sind als für Niederländer, die zur gleichen Zeit auf den Arbeitsmarkt kommen, sorgt dafür, dass sich Niederländer benachteiligt fühlen. Und das wiederum hat zu einem Nederland First-Denken geführt. Dieselben Strömungen sieht man aber auch in anderen Ländern“, so Ten Broeke.

Ein Blick nach Deutschland: Wie stabil bleibt die Ampel 2024?

In der Woche der Podcast-Aufnahme liefen die bundesweiten Bauernproteste, die wir ähnlich öffentlich- und medienwirksam in den vergangenen Jahren auch in den Niederlanden gesehen haben. Auch der Rechtsruck in der Politik lässt sich beobachten und darum kommt den drei Landtagswahlen im September besondere Bedeutung zu.

In den Niederlanden wird aufmerksam beobachtet, dass die Uneinigkeit innerhalb der Koalition so oft nach draußen dringt – unvorstellbar aus niederländischer Sicht. „Und in den Niederlanden geschieht es auch viel seltener, dass sich ein Regierungsmitglied vom Rest der Regierung distanziert. Wenn sich jemand öffentlich distanziert, wie im Falle von Staatssekretärin Mona Keijzer, die nicht mit den Corona-Maßnahmen übereinstimmte, dann wird auch gleich der Posten frei gemacht“, so Ten Broeke.

Für Ten Broeke zeigt sich in dem ständigen, in der Öffentlichkeit ausgetragenen Streit die Schwäche des Kanzlers, den Streit schlichten zu können. Das könne erfrischend sein. Aber: „Europa profitiert nicht von einem instabilen deutschen Kabinett. Und Europa profitiert nicht von einer deutschen Regierung, die nicht in der Lage ist, auch innerhalb Europas Führungsstärke zu zeigen.“

Klar ist: Beide Länder stehen vor großen Herausforderungen. Aber mit Technologie und Innovationsgeist haben beide die Schlüssel in der Hand, um die großen Themen der Zeit wie Energiewende, Klimawandel und fragile Lieferketten zu meistern. Das gelingt erst recht, wenn beide Länder weiter zusammenarbeiten und ihre traditionellen Stärken vereinen.

 

Der Wirtschaftsausblick 2024 wurde als Podcast in niederländischer Sprache aufgenommen.

Wirtschaftsausblick für 2024 in Kürze hier verfügbar. 

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Text: Janine Damm

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