Wie sieht in den Niederlanden der Regierungsbildungsprozess aus?
Nach der Parlamentswahl beginnt ein komplexer Koalitionsbildungsprozess. In der Regel erreicht keine einzelne Partei die absolute Mehrheit der 150 Sitze im Abgeordnetenhaus.
Kurz nach der Wahl ernennt der König darum einen Verkenner (eine Art „Erkunder“). Dieser führt erste Gespräche mit den Parteivorsitzenden und erstellt einen Bericht über mögliche Koalitionsoptionen und die Kooperationsbereitschaft der Parteien.
Auf dieser Grundlage wird anschließend ein Informateur ernannt, der die intensiveren Gespräche zwischen den potenziellen Koalitionspartnern führt und die Basis für ein Regierungsprogramm sondiert. Erst danach kommt ein Formateur ins Spiel – meist der designierte Ministerpräsident. Und dieser Formateur leitet die eigentlichen Koalitionsverhandlungen und verteilt die Ministerposten.
Wieso dauert die Regierungsbildung oft so lange?
In den letzten fünf Parlamentswahlen gelang es den Parteien nur einmal, innerhalb von 100 Tagen eine Regierung zu bilden. Zum Vergleich: In Deutschland dauerte die Regierungsbildung bisher nur einmal länger als 100 Tage: Das war nach der Wahl 2017.
Es gibt zwei Gründe, warum die Regierungsbildung in den Niederlanden traditionell länger dauert: Erstens, weil der mehrstufige Prozess mit Verkenner, Informateur und Formateur langwieriger und zeitlich weniger begrenzt ist.
Zweitens fehlt eine formelle Einzugshürde der Parteien ins Parlament – eine vergleichbare 5%-Hürde wie in Deutschland kennen die Niederlande nicht. Deswegen ist eine Vielzahl kleinerer Parteien im Parlament vertreten. Für eine Mehrheitsregierung sind 76 Abgeordnete erforderlich und so bestimmen oftmals die kleinen Parteien, welche Koalition eine Mehrheit bekommt und somit auch, wer Ministerpräsident wird. Das letzte Parlament unter Dick Schoof zählte 15 Fraktionen.
Welche Rolle spielt der König bei der Regierungsbildung?
Der niederländische König Willem-Alexander spielt eine zeremonielle Rolle. Er ernennt den Verkenner, den Informateur und später den Formateur, handelt dabei jedoch auf Empfehlung des Parlaments. Politische Macht hat er nicht. Er kann keine Parteien zu einer Koalition zwingen.
Tritt die größte Partei immer in die Regierung ein?
Nein, nicht unbedingt. Die größte Partei hat zwar oft den ersten Schritt bei den Koalitionsverhandlungen, doch wenn andere Parteien eine Mehrheit bilden können, ist es möglich, dass die größte Partei in der Opposition landet und der Ministerpräsident aus einer kleineren Partei kommt. Ein bekanntes Beispiel ist die Wahl von 1977: Die PvdA (Partei der Arbeit) wurde die stärkste Partei, dennoch bildeten CDA und VVD gemeinsam eine Regierung unter Ministerpräsident Van Agt.
Eine Besonderheit bei den Wahlen im November 2023: Geert Wilder`s PVV wurde stärkste Kraft, doch stellte die Ein-Mann-Partei nicht den Ministerpräsidenten, da die Koalitionspartner Wilders als Premier nicht akzeptiert und keiner Koalition zugestimmt hätten.
Was passiert, wenn keine Koalition zustande kommt?
Falls die Koalitionsverhandlungen scheitern, können Neuwahlen stattfinden. Alternativ kann eine Minderheitsregierung gebildet werden, die für jede Abstimmung im Parlament Unterstützung suchen muss. Dies kommt jedoch nur selten vor.
Welche wirtschaftspolitischen Auswirkungen hat eine lange Regierungsbildung?
Während der Koalitionsverhandlungen führt die geschäftsführende Regierung lediglich die laufenden Geschäfte. Wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen werden häufig verschoben, was gerade bei längeren Verhandlungen für Unsicherheit bei Unternehmen sorgt.
Text: Mike Veldt und Janine Damm
Bild: Beeldbank Tweede Kamer