Auf dem NATO-Gipfel in Den Haag beschlossen die Mitgliedstaaten, ihre Verteidigungsausgaben bis 2035 auf 5 % ihres Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, davon 3,5 % für die Kernbereiche der Verteidigung und weitere 1,5 Prozent für unterstützende sicherheitsrelevante Investitionen. Deutschland hat bereits Schritte unternommen, indem es zur Finanzierung der erhöhten Verteidigungsausgaben die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse teilweise außer Kraft setzte. Darüber hinaus wird ein Sondervermögen von 500 Milliarden Euro für zusätzliche Investitionen in die (militärische) Infrastruktur eingerichtet.
Deutschland und die Niederlande: Bündelung der Kräfte
Während die Niederlande auf dem Gebiet der Radartechnologie, Cybersicherheit und maritimen Systeme eine führende Rolle spielen, verfügt Deutschland über enorme Industrie- und Produktionskapazitäten. Dies bietet gute Chancen für eine gemeinsame Entwicklung und Fertigung. So kooperieren das niederländische Forschungsinstitut TNO und die deutsche Fraunhofer-Gesellschaft auf dem Gebiet der angewandten Wissenschaft und der Forschung und Entwicklung. Und auch der niederländische Schiffbauer Damen Naval und die Hamburger Großwerft Blohm+Voss arbeiten eng zusammen.
Obwohl sich die beiden Werften mit Verzögerungen und technischen Problemen konfrontiert sahen, ist ihre Kooperation ein wichtiger Faktor im Streben nach Verstärkung der europäischen maritimen Kapazitäten. Beide Werften können sich mit ihrer einzigartigen Expertise in der komplexen Welt des Marineschiffbaus gegenseitig ergänzen und verstärken. Auch das I. Deutsch-Niederländische Corps in Münster ist ein konkretes Beispiel für die operative Zusammenarbeit im Rahmen der NATO.
Verteidigung als Motor der Innovation
Die Investitionskraft ist enorm – die Niederlande investieren 2025 gut 22 Milliarden, Deutschland über 86 Milliarden Euro in die Verteidigung. Die steigenden Ausgaben verstärken nicht nur die militärische Schlagkraft, sondern fördern auch auf breiterer Ebene die technologische Innovation.
So investiert die niederländische Regierung beispielsweise 70 Millionen Euro in eine KI-Fabrik in Groningen, die unter anderem in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium realisiert wird. Das Ziel: die Abhängigkeit von amerikanischer und chinesischer Technologie zu verringern und selbst hochwertige Anwendungen zu entwickeln.
Auch Deutschland arbeitet an der strategischen Unabhängigkeit. Mit umfangreichen Investitionen in raumfahrttechnische Unternehmen wie Reflex Aerospace, OHB SE und Airbus Space & Satellites soll die Abhängigkeit Europas von amerikanischen Aufklärungssystemen verringert werden. Darüber hinaus spielen auch zivile Unternehmen immer häufiger eine wichtige Rolle in der Verteidigung. So liefern ehemals rein zivile deutsche Unternehmen wie TRUMPF und Deutz inzwischen auch Baugruppen oder Systeme für militärische Anwendungen.
Die Rolle von Versicherungen und Investoren
Auch Finanzinstitute überdenken zunehmend ihre Einstellung gegenüber Investitionen in die Verteidigung. Niederländische Versicherungsgesellschaften wie Nationale Nederlanden und Achmea sind wieder bereit, in die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu investieren. Analysten zufolge steigt das Bewusstsein, dass eine starke Verteidigungsindustrie sowohl zur geopolitischen als auch zur wirtschaftlichen Stabilität beiträgt.
Engpässe durch Personalmangel und Regulierungsdichte
Trotz der hohen Investitionen sieht sich die Branche weiterhin mit strukturellen Problemen konfrontiert. So leiden sowohl die Streitkräfte als auch die Hightechbranche an einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Darüber hinaus ist der europäische Rüstungsmarkt noch immer stark fragmentiert. Dem Internationalen Währungsfonds zufolge belaufen sich die nichttarifären Handelshemmnisse in der EU effektiv auf 44 % für Waren und sogar 110 % für Dienstleistungen. Infolgedessen müssen Unternehmen ihre Produkte oft neu entwerfen, um die unterschiedlichen nationalen Vorschriften zu erfüllen, was die Innovationskraft und Effizienz erheblich beeinträchtigt.
In Zeiten steigender geopolitischer Spannungen wächst die Bedeutung technologischer Unternehmen für die Gewährleistung der Sicherheit und der strategischen Unabhängigkeit. Von smarten Akkus über optische Kommunikationssysteme bis hin zu Unterwasserrobotern: In Deutschland und den Niederlanden arbeiten innovative Akteure intensiv am Ausbau der europäischen Verteidigungsstrukturen. Im Folgenden einige Beispiele hierfür.
BROSHUIS
Broshuis aus Kampen liefert seit 1992 Transportlösungen für die Streitkräfte in den Niederlanden und anderen NATO-Mitgliedstaaten. 2025 ging erneut ein Großauftrag des niederländischen Verteidigungsministeriums ein: 146 Auflieger und Anhänger, unter anderem für den Transport von Leopard-Kampfpanzern. Das Familienunternehmen verfügt über separate Produktionsstraßen für Rüstungsaufträge, sodass die zivile Produktion nicht behindert wird.
DEFENTURE
Das Unternehmen aus Tiel baut leichte Geländefahrzeuge für Spezialeinheiten und Militäreinsätze. Seit der Gründung im Jahr 2013 liefert es maßgefertigte Systeme u.a. für die niederländischen und deutschen Streitkräfte. Das wendige und robuste Modell GRF hat seinen Ursprung im Motorsport. Defenture kombiniert den Fahrzeugbau mit Systemintegration und liefert einsatzbereite Lösungen für die Kriegsführung.
AKHETONICS
Dieses Start-up entwickelt Chips, die Informationen mithilfe von Licht statt Strom verarbeiten. Das ermöglicht eine schnellere Datenverarbeitung bei geringerem Energieverbrauch, was ein Vorteil für militärische Anwendungen ist. Akhetonics will die analoge und digitale Datenverarbeitung mit Quantencomputing in einer Plattform kombinieren. Die Chips des Unternehmens werden in einer europäischen Lieferkette gefertigt.
ALPINE EAGLE
Dieses süddeutsche Unternehmen ist auf Drohnenabwehrsysteme spezialisiert, die mithilfe moderner Sensortechnologie, künstlicher Intelligenz und Machine Learning feindliche unbemannte Flugobjekte, darunter kleine Drohnen, erkennen, klassifizieren und abfangen können. Der niederländische Mitgründer Jan-Hendrik Boelens betont die Bedeutung der europäischen Innovationskapazität.
KITEPOWER
Dieses Start-up entwickelt Systeme für die Erzeugung von Energie mithilfe von Drachen. Der Drache fängt Windenergie ein und speichert sie in Akkus. Damit ist er eine stille, leichte und emissionsarme Alternative für Dieselgeneratoren, etwa auf Baustellen oder Ackerflächen. Die niederländischen Streitkräfte testen die Technologie, und auch andere NATO-Mitgliedstaaten haben Interesse an dieser Lösung für die taktische Energieversorgung bekundet.
LOBSTER ROBOTICS
Ein Unterwasserroboter, der in bis zu 300 Metern Tiefe hochauflösende Aufnahmen des Gewässerbodens anfertigt: Diese Technologie ist für zivile und militärische Anwendungen interessant, von der Überwachung der Unterwasser-Infrastruktur bis hin zur Seeminensuche. Die niederländische Marine hat Interesse an der ersten Produktionsserie. Darüber hinaus hat die NATO bereits in das Start-up aus Delft investiert.
OPTICAL COMMUNICATION ALLIANCE
Datenübertragung mithilfe von Licht. Unter dem Namen Optical Communication Alliance werden Systeme entwickelt, die Streitkräften, Satelliten und Fahrzeugen eine sichere Kommunikation über weite Entfernungen ermöglichen. Dem Verbund gehören Aircision, FSO Instruments, Secura, Signify, SMART Photonics, das Forschungsinstitut TNO, die Entwicklungsgesellschaft Brainport Development und das niederländische Verteidigungsministerium an.
ARX ROBOTICS
Dieses Start-up entwickelt Bodenfahrzeuge, die sowohl für zivile als auch militärische Zwecke geeignet sind. Im Mittelpunkt steht das KI-Betriebssystem Mithra, das es den Fahrzeugen ermöglicht, untereinander zu kommunizieren und sich selbstständig fortzubewegen. Damit leistet ARX einen wichtigen Beitrag zur militärischen Souveränität Europas, setzt auf vollständig europäische Lieferketten und fokussiert Aufklärung, Logistik und Überwachung.
HELSING
Das Münchner Unicorn entwickelt autonome Kampfdrohnen. Das im Jahr 2021 gegründete Unternehmen legt großen Wert auf ethische Kontrolle: Jeder Einsatz der Kampfdrohnen unterliegt der Überwachung durch einen menschlichen Bediener. Helsing wird mit rund 12 Milliarden Euro bewertet und gilt als eines der wichtigsten Unternehmen der europäischen Verteidigungsindustrie.
PROJECT Q
Das 2024 in Berlin gegründete Start-up Project Q will durch Kombination des Wissens in den Bereichen künstliche Intelligenz, Militäreinsätze und öffentliche Beschaffung die technologische Souveränität Europas im Verteidigungsbereich stärken. Im Juli 2025 schloss das Unternehmen eine Seed-Finanzierung in Höhe von 7,5 Millionen Euro ab. Inzwischen laufen diverse Pilotprojekte mit der Bundeswehr.
ROBIN RADAR
Robin Radar entwickelt Radarsysteme, die unter anderem russische Kamikaze-Drohnen erkennen können. Vor kurzem hat das Unternehmen auf Grundlage von Rückmeldungen aus der Ukraine einen Langstreckenmodus entwickelt. Dieser kann größere Drohnen in einer Entfernung von bis zu zwölf Kilometern erkennen. Robin Radar gehört zu den am stärksten expandierenden Unternehmen der niederländischen Verteidigungsindustrie.
TULIP TECH
Das Unternehmen aus Brabant stellt Akkus her, mit denen Drohnen länger und effizienter fliegen können. Damit stößt Tulip Tech weltweit auf Interesse, u.a. bei der NASA und beim ukrainischen Militär. Dank ihres spezialisierten Wissens und Know-hows im Bereich der Energiedichte und Ladegeschwindigkeit hat sich Tulip Tech in kurzer Zeit eine solide Position in der internationalen Drohnenindustrie gesichert.
QUANTUM SYSTEMS
Das 2015 gegründete Quantum Systems baut Drohnen und KI-Systeme für die Luftaufklärung. Ihr Flaggschiff, die Aufklärungsdrohne Vector, liefert Echtzeitdaten für Verteidigung, Sicherheit und Rettung. Das Unternehmen will sich als europäischer Marktführer im Bereich der automatisierten Luftaufklärungssysteme für Auftraggeber aus Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung etablieren. Inzwischen wird es mit über einer Milliarde Dollar bewertet.
SWARM BIOTACTICS
Swarm Biotactics aus Kassel entwickelt Biorobotiksysteme mithilfe lebender Insekten, etwa Kakerlaken. Die Insekten werden mit Mikroelektronik ausgestattet, wodurch sie steuerbar werden und Daten sammeln können. Sie werden in gefährlichen oder schwer zugänglichen Umgebungen eingesetzt. Die Systeme eignen sich für Such- und Rettungseinsätze ebenso wie für die militärische Aufklärung.