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Gastkommentar: Yes we can in Deutschland

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Ein Gastkommentar von Han Dirk Hekking, Deutschland-Korrespondent der niederländischen, überregional erscheinenden Tageszeitung Het Financieele Dagblad.

Financieel Dagblad Han Dirk Hekking

Der deutsche Wähler hat gesprochen, aber die Frage ist, ob 'Karlsruhe' noch sprechen wird – denn das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) könnte noch vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um das Wahlergebnis anzufechten. Der Partei fehlten nur rund 13.500 Stimmen zum Einzug in den Bundestag. 

 

Es bleibt abzuwarten, ob das Gericht Wagenknechts Ansicht über die Unregelmäßigkeiten bei der Wahl teilt. Aber Fakt ist, dass es Probleme bei der Briefwahl gab. Und bereits im Jahr 2023 bekam das Ansehen der deutschen Regierung einen Knacks, als das Bundesverfassungsgericht entschied, dass Teile der Bundestagswahlen von 2021 in Berlin aufgrund von zu wenig verfügbaren Wahlzetteln, zu langen Öffnungszeiten der Wahllokale und weiteren Pannen wiederholt werden mussten. Daher wurde die Wahl in Berlin 2024 teilweise wiederholt. 

 

Als jemand, der erst seit kurzem in Deutschland lebt – ich zog im Dezember 2023 nach Frankfurt – kam mir das ziemlich un-deutsch vor. Ich hatte immer die Vorstellung, dass in Deutschland Ordnung und Präzision nicht nur in der Industrie, sondern in allen Bereichen der Gesellschaft von großer Bedeutung sind. 

 

Darum verfolgte ich auch den Wahlkampf umso erstaunter: Als Niederländer bemerkte ich, wie sehr ich durch die vom Zentralen Planungsbüros (CPB) durchgeführten Analysen der Wahlprogramme verwöhnt bin. Das CPB berechnet die Auswirkungen der Wahlprogramme auf den Arbeitsmarkt, die Staatsverschuldung und das Wirtschaftswachstum und bietet den Wählern dadurch Orientierung - so kann man als Wähler eine fundierte Entscheidung treffen. Ein Vorteil dieser Analyse ist, dass sie die Parteien diszipliniert und dazu zwingt, ihre Pläne präziser zu formulieren. Ein möglicher Effekt: mehr Effizienz bei der Koalitionsbildung, weil das Wahlprogramm deutlich und nicht schwammig ist. 

 

Letzteres hat sich jedoch angesichts der jüngsten Regierungsbildungsprozesse in den Niederlanden als Theorie erwiesen – diese dauerten endlos lang. Und bei den Wahlen 2023 setzten drei der vier Parteien der aktuellen Koalition das CPB überhaupt nicht mehr ein. Ihrem Erfolg schien das jedoch keinen Abbruch zu tun. 

 

Wie dem auch sei. Meine Erwartung war jedenfalls, dass die deutschen Wahlprogramme – basierend auf meinem Vorurteil – auf präzisen, gut fundierten Berechnungen beruhen würden. Da das Land Südeuropa wegen Geldverschwendung kritisiert, müssten die Parteien doch bis ins kleinste Detail berechnet haben, was ihre Ausgaben bringen und was sie kosten, hiervon war ich überzeugt. 

 

Aber weit gefehlt. IW, ZEW, DIW und Ifo kamen zu der Schlussfolgerung, dass nicht nur die AfD, BSW oder Die Linke bereit sind, mit den Euros um sich zu werfen, sondern auch die FDP und CDU/CSU – und das ohne finanzielle Deckung.  

 

Ich musste mir die Augen reiben. Und das lag auch daran, dass die Analysen von IW, ZEW, DIW und Ifo relativ begrenzt sind. Berechnen sie die Auswirkungen der Steuererleichterungen auf die Steuereinnahmen, aber auch die Folgen für das Wachstum? Nein.  

 

Das führt dazu, dass sich die deutschen Wahlprogramme oft wie die Wunschzettel der Wähler lesen, alle Wünsche werden erfüllt. Das mag für naive Wähler eine schöne Vorstellung sein, doch für alle, die wissen, dass nichts im Leben umsonst ist, ist es eher frustrierend – außer vielleicht der Sonnenaufgang. Für Unternehmen, die auf günstigere Energie hoffen und darauf, dass die neue Regierung die Steuerlast tatsächlich senkt und die Rahmenbedingungen für Unternehmensansiedlungen verbessert, müssen all diese Versprechungen besonders ärgerlich wirken.  

 

Das führt mich zu meinem letzten Punkt: die negative Stimmung im Land. Ich dachte immer, die Niederländer wären Weltmeister im Schwarzsehen, aber im Vergleich zu den Deutschen sind wir Amateure. 

 

Manchmal lasse ich mich davon ein wenig mit hinunterziehen. Doch dann lese ich ein Interview mit Reinhold Würth, dem hochbetagten Schraubenkönig aus Künzelsau. Wie er die Welt sieht und wie er sein Unternehmen aufgebaut hat. Und wie er entgegen dem Trend zusätzlich Schrauben produzieren lässt, weil er weiß, dass die Wirtschaft bald wieder anzieht. 

 

Und dann denke ich: Die 'Yes we can'-Seite Deutschlands sollte nicht nur ich mehr im Blick haben, sondern auch die Deutschen selbst. 

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