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Kommentar: Lehren aus den niederländischen Wahlen

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Dr. Hanco Jürgens, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Duitsland Instituut Amsterdam und Experte für moderne deutsche Geschichte in europäischer Perspektive, ordnet die Ergebnisse der niederländischen Parlamentswahlen ein. In seinem Kommentar analysiert er, welche politischen Verschiebungen sichtbar werden und welche Lehren andere Länder daraus ziehen können.

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Die niederländischen Parlamentswahlen haben eine klare Botschaft vermittelt: Mit einer positiven Erzählung lässt sich dem Populismus etwas entgegensetzen. Rob Jetten, der liberal-demokratische Spitzenkandidat von D66, hielt konsequent an seinem optimistischen Ton fest. Zehn neue Städte zur Lösung des Wohnungsmangels, eine leistungsfähige Regierung, die Einhaltung der Klimaziele und Investitionen in Bildung – diese Leitlinien prägten seine Kampagne. Mit PVV-Chef Geert Wilders suchte Jetten bewusst die inhaltliche Auseinandersetzung, um seine Botschaft: ´Het kan wel´ (Es kann doch) zu unterstreichen. Die Warnungen vor den Gefahren des Populismus überließ er dagegen dem Sozialdemokraten Frans Timmermans, der damit zunehmend in die Defensive geriet.

 

Ob der Populismus die Wahl tatsächlich verloren hat, bleibt jedoch fraglich. Angesichts der schwachen Bilanz der letzten Regierung, in der die PVV als stärkste Kraft vertreten war, schnitt Wilders nicht einmal schlecht ab: Zwar verlor er elf Sitze, blieb aber zweitgrößte Partei – mit genauso vielen Mandaten wie Wahlsieger D66. Zudem legten weitere rechts bis rechtsradikale Parteien deutlich zu: JA21 stieg von einem auf neun Sitze, Forum voor Democratie von drei auf sieben. Insgesamt hat sich das Parlament nach rechts verschoben, auch durch die Verluste von GroenLinks-PvdA und der linksgerichteten SP.

 

Die Wahlkampfthemen wurden stark vom erwarteten Erfolg rechtspopulistischer Parteien geprägt. Im Zentrum standen Wohnen, Migration und Gesundheitsversorgung: Themen, die nah am Alltag der Menschen liegen. Obwohl sie in zahlreichen Debatten ausführlich behandelt wurden, bleibt jedoch offen, ob die Wählerinnen und Wähler nun tatsächlich wissen, welche Lösungen realistisch sind.

 

Dass eine neue Regierung sofort zehn Städte errichten wird, ist unwahrscheinlich. Auch Wilders’ Forderung nach einem vollständigen Migrationsstopp wird nicht umgesetzt. Doch welche Maßnahmen werden dann getroffen? Die fehlende inhaltliche Diskussion über strukturelle Reformen zeigte sich besonders im Bereich der Gesundheitsversorgung. Statt darüber zu sprechen, wie ein stetig wachsendes Gesundheitssystem zukunftsfähig werden kann, konzentrierte sich der Wahlkampf auf die Höhe des Eigenrisikos, das Bürgerinnen und Bürger bei medizinischer Behandlung zahlen müssen.

 

GroenLinks-PvdA forderten eine Halbierung des Eigenrisikos – ein kostspieliger Vorschlag, der angesichts wirtschaftlicher und politischer Spannungen kaum Aussicht auf Umsetzung hat, aber dennoch zu einem beherrschenden Thema wurde. Timmermans versuchte zudem, Jetten anzugreifen, indem er ihm mangelnde finanzielle Solidität im Gesundheitsbereich vorwarf. Auch diese Auseinandersetzung drehte sich jedoch nicht um langfristige Systemveränderungen, sondern um Detailfragen wie die Einrechnung hoher Medikamentenpreise in die D66-Haushaltsplanung.

 

Vor diesem Hintergrund ist es wenig überraschend, dass zentrale Bereiche wie die wirtschaftliche Lage, Außenpolitik oder EU-Themen kaum zur Sprache kamen. Allzu komplex sollte der Wahlkampf offenbar nicht werden.

Was Deutschland aus den niederländischen Wahlen lernen kann

Eine wichtige Frage lautet nun, welche Lehren andere Länder – etwa Deutschland – aus dieser Wahl ziehen können. Erstens zeigt sich eine starke Fragmentierung des Parteiensystems, die klassische Drei-Parteien-Koalitionen nahezu unmöglich macht. Die Regierungsbildung – sei es über die Mitte nach links mit GroenLinks-PvdA oder nach rechts mit JA21 – dürfte daher ausgesprochen schwierig werden. Es erscheint unwahrscheinlich, dass bis zu den Kommunalwahlen im März 2026 bereits eine neue Regierung steht.

 

Zweitens: Die Wahl wurde knapp von einer Partei gewonnen, die eine optimistische Botschaft vermittelte – „Es kann gelingen.“ Drittens: Frans Timmermans fand im Wahlkampf keinen überzeugenden Zugang zu einer breiteren Wählerschaft. Meinungsforscher wie Maurice de Hond wiesen zunehmend darauf hin, dass ein Teil des Elektorats ihn kategorisch ablehnt. Doch ob Timmermans persönlich für das enttäuschende Abschneiden von GroenLinks-PvdA verantwortlich ist, bleibt offen. Hier ergibt sich eine interessante Parallele zu Deutschland.

 

Unabhängig von einzelnen Spitzenkandidaten fällt es linken Parteien in Ländern wie Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland schwer, klare Prioritäten zu kommunizieren. Es gelingt ihnen kaum, internationale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und Klimapolitik in einen gemeinsamen Rahmen zu bringen. Zudem gewinnen sie kaum Wählerstimmen, indem sie stetig vor radikal rechten Parteien warnen. In beiden Ländern stehen linke Parteien häufig in der Defensive – die SPD als Regierungspartei ebenso wie die Grünen, die sich noch immer von ihrer jüngsten Wahlniederlage erholen.

 

Das zentrale Problem der Linken liegt im politischen Narrativ: Nur wenn es gelingt, Sicherheit, Stabilität und gesellschaftliche Geborgenheit in ein stimmiges Gesamtkonzept zu integrieren, kann Vertrauen zurückgewonnen werden. Zugleich stehen linke Parteien in Regierungsverantwortung sofort unter Druck, Kompromisse einzugehen. Regieren ist schwieriger geworden und erschwert die klare Profilbildung – gerade an dieser mangelt es derzeit.

Mitte-rechts auf rechtem Kurswechsel

Eine weitere Parallele zeigt sich zwischen den niederländischen Mitte-Rechts-Parteien VVD und der deutschen CDU/CSU. Beide blickten auf erfolgreiche Regierungschefs zurück, die eine gemäßigte Politik verfolgten. Doch nach den Ären Rutte und Merkel schlugen beide Parteien einen deutlich rechteren Kurs ein. Wie die CDU will auch die VVD nicht länger die klassische Mitte-Partei sein. Beide stehen vor der Herausforderung, Wählerinnen und Wähler von radikal rechten Parteien zurückzugewinnen. Die VVD schließt daher – vorerst – eine Zusammenarbeit mit der Linken aus: Mit einer Linkskoalition sei ein strengeres Asyl- und Flüchtlingsregime nicht umzusetzen.

 

VVD-Spitzenkandidatin Dilan Yeşilgöz, in Ankara geboren, setzte nach anfänglich schwierigen Wochen verstärkt auf solide staatliche Steuerung – und konnte so eine Niederlage abwenden. Ob die VVD in einer neuen Regierung tatsächlich am Konsolidierungskurs festhält, ist fraglich. Die kommenden Jahre bringen Herausforderungen, die strenge Sparpolitik unwahrscheinlich machen. Die schnellen Kurswechsel von Friedrich Merz nach der deutschen Wahl sollten der VVD eine Warnung sein.

 

Die zentrale Lehre dieser Wahl lautet jedoch: Es wird immer schwieriger, in der politischen Debatte über konkrete Lösungen zu sprechen. Ob es um Merz’ Wortwahl zum Stadtbild oder um das Eigenrisiko im Gesundheitssystem geht – häufig drehen sich Diskussionen eher um Symbolik und Wahrnehmung als um realistische Politik. Rob Jetten konnte seine Vision von zehn neuen Städten nahezu unkritisiert präsentieren. Ob davon etwas umgesetzt wird, bleibt offen.

Herausforderungen für die nächste niederländische Regierung

Nun steht die Frage im Raum, ob politische Parteien ihre Versprechen einlösen können. In Deutschland betonte die CDU vor der Wahl noch die Schuldenbremse, forderte nach der Wahl jedoch ein unbegrenztes Verteidigungsbudget, einen 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturfonds und einen 100-Milliarden-Klimafonds. Merz tat sich schwer, diese Kehrtwende zu erklären.
 

Wie gehen die niederländischen Parteien mit dieser Herausforderung um?

 

In den laufenden Koalitionsverhandlungen muss klar werden, welche Aufgaben das neue Kabinett als erstes angeht. Ebenso wichtig ist die Haltung der Niederlande zum EU-Migrations- und Asylpakt, der im Juni in Kraft tritt, sowie zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) der EU ab 2028. Wenn Politik Verantwortung übernehmen will, muss sie Konflikte nicht nur überbrücken, sondern auch konkrete Lösungen für reale Probleme formulieren – damit die Wählerschaft weiß, was sie erwartet, was erreicht wurde und welche Schritte noch folgen müssen.

 

Die zentrale Aufgabe wird darin bestehen, die Herausforderungen und Lösungsansätze in den Bereichen Klima, Industriepolitik, Migration, soziale Sicherheit, Fachkräftemangel, Gesundheitsversorgung, europäische Politik und internationale Beziehungen so zu erklären, dass Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, dass ihre Stimme tatsächlich etwas bewirkt. Gelingt das nicht, behalten rechtsradikale Parteien freie Hand.

Dr. Hanco Jürgens ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Duitsland Instituut Amsterdam und Experte für moderne deutsche Geschichte aus europäischer Perspektive.

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