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Remondis-Interview mit Wouter van Aggelen

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Wie zirkulär kann unsere Zukunft wirklich sein? Bei einem exklusiven Besuch von Europas modernster Recycling- und Sortieranlage sprachen wir mit Wouter van Aggelen, Corporate Affairs-Chef von Remondis Niederlande, über Chancen, Herausforderungen und Visionen auf dem Weg zur echten Kreislaufwirtschaft.

Zu sehen ist Europas modernste Recycling- und Sortieranlage von Remondis im niederländischen Son.

Der Elektrokran greift einen Schutthaufen und lässt ihn auf ein Förderband fallen, während ein Lkw nach dem anderen mit Bauschutt und Holzabfällen auf das Gelände von Remondis in Son fährt, um seine Fracht abzuladen. Hinter großen Toren befindet sich in mehreren Metern Höhe das Herz des Zentrums: die modernste Recycling- und Sortieranlage Europas mit 46 Förderbändern, 5 Infrarot-Trennsystemen, Gebläsen, Magneten und großer 3D-Sortiertrommel. Dank der intelligenten Sortiertechnologie können hier 22 Abfallfraktionen abgetrennt werden, von Holz bis Beton und von Kunststoff bis Metall. Die Prozesse in der Anlage im Industriegebiet Ekkersrijt nördlich von Eindhoven sind bis auf Grammebene optimiert und automatisiert. Hier geht kein Produktzyklus zu Ende, sondern beginnt ein neuer. Möglichst viele Wertstoffe werden recycelt und einer Wiederverwendung zugeführt.

 

Remondis Nederland gehört zum deutschen Mutterunternehmen Remondis in Lünen, das in über 30 Ländern operiert und hat das gleiche Aufgabenspektrum, wenn auch mit etwas anderen Schwerpunkten. Außer den Aktivitäten von Remondis im Zuge der Umstellung auf die Kreislaufwirtschaft und als Berater für Abfallvermeidung, Recycling und Compliance spielt das Unternehmen über seinen Geschäftsbereich Smart Infra auch eine wichtige Rolle bei der Vorbereitung der Niederlande auf die Folgen des Klimawandels. So werden mit Remondis-Technologie in großem Stil die über 140.000 Pumpen und 15.000 Schöpfwerke lückenlos überwacht, die dafür sorgen, dass die Einwohner der Niederlande trockene Füße behalten. Dieses Monitoring ermöglicht es, frühzeitig auf Störungen, etwa infolge extremer Wetterlagen, zu reagieren.

 

Mit Wouter van Aggelen, Geschäftsführer für Konzernangelegenheiten, sprachen wir darüber, wo sich Remondis auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft befindet, wie realistisch ein vollständig zirkuläres Abfallsystem überhaupt ist, welche Chancen das Unternehmen sieht und mit welchen Problemen es sich konfrontiert sieht. Als ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutsch-Niederländischen Handelskammer und Head of International Public and Government Affairs für ING in Deutschland verfügt er über umfassendes Wissen über beide Länder, deren Märkte und öffentliche Verwaltung.

Die Zukunft des Abfalls beginnt beim Produktdesign.

 

~ Wouter van Aggelen

Wouter van Aggelen, Geschäftsführer Corporate Affairs Remondis Nederland

Wo befinden sich die Niederlande auf dem Weg in die Kreislaufwirtschaft?

Wouter van Aggelen: Mit einem Recyclinganteil von etwa 60 % bei Siedlungsabfällen gehören die Niederlande zu den europäischen Spitzenreitern. Das mag eindrucksvoll erscheinen, aber darin inbegriffen sind auch niedrigwertige Downcycling-Anwendungen wie die Nutzung von Bau- und Abrissabfällen als Gründungsmaterial. Es handelt sich also nicht um 60 % hochwertiges Recycling. Eine echte Kreislaufwirtschaft setzt die Schließung von Materialkreisläufen voraus, wobei die recycelten Grundstoffe wieder als vollwertiger Input für neue Produktionsprozesse dienen.

 

Wie sieht es mit Kunststoffabfällen aus?

Nur 49 % der in den Niederlanden gesammelten Kunststoffe werden tatsächlich wieder zu hochwertigen Kunststoffen derselben Qualität verarbeitet. Das ist ein Grund zur Sorge, vor allem angesichts der europäischen Vorgabe, dass bis 2030 55 % der Verpackungsabfälle aus Kunststoff verwertet werden müssen. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Anteil mit etwa 69 % wesentlich höher, unter anderem dank strengerer Vorschriften für die Trennung an der Quelle und bei den Verbrauchern. Auch die Abfallverbrennung stellt ein Problem dar: In den Niederlanden werden auf Jahresbasis noch rund 40 % der gesammelten Abfälle verbrannt. Das bedeutet, dass wir immer noch zu viele nicht recyclingfähige Materialien einsetzen oder den Abfall nicht gut genug trennen. Um diesen Prozentsatz zu senken, sind Maßnahmen sowohl zur Verbesserung der Recyclingeinrichtungen und der Sortierung als auch zur Beeinflussung des Verbraucher- und Herstellerverhaltens notwendig.

 

Wie weit ist Remondis auf dem Weg zur Kreislaufwirtschaft?

Remondis spielt eine Vorreiterrolle, wenn es um Dienstleistungen der Kreislaufwirtschaft geht, wobei der Schwerpunkt auf einer maximalen Rohstoffrückgewinnung aus Abfällen und hochwertigen Recyclingtechnologien wie der optischen Trennung und Robotisierung liegt; darüber hinaus spielen wir eine aktive Rolle in der Lieferkettenzusammenarbeit zur Förderung der getrennten Erfassung und Verwertung von Abfallfraktionen. Dennoch stehen wir auf dem Weg zu einer vollständigen Kreislaufwirtschaft noch vor vielen Herausforderungen.

 

Können Sie uns einige Beispiele nennen?

Viele Abfallströme sind nicht sauber oder homogen genug, um ein hochwertiges Recycling realisieren zu können. Darüber hinaus sind wir auch auf lineare Ketten angewiesen, etwa von Herstellern, die nicht auf die Recyclingfähigkeit achten. Außerdem ist die Kreislaufwirtschaft ohne staatliche Lenkung oder Marktanreize finanziell noch nicht rentabel.

 

Die Umstellung erfordert, dass auch andere Glieder der Lieferkette, etwa Hersteller, Gesetzgeber und Verbraucher, ihren Beitrag leisten.

Ohne Produktverantwortung zu Beginn der Produktionskette geht es nicht. Solange Produkte hergestellt werden, ohne auf die Demontierbarkeit, Wiederverwendbarkeit oder Recyclingfähigkeit zu achten, werden die Abfallberge nicht schrumpfen. Gleiches gilt für Verpackungen: Solange chinesische Kunststoffe um ein Vielfaches billiger sind und hier ohne jede Beschränkung verfügbar bleiben, ist es kein Wunder, dass die Unternehmen nicht auf qualitativ bessere, aber teurere biologisch abbaubare Varianten zurückgreifen. Materialien müssen einfach zu trennen und zu recyceln sein, und die Herstellerverantwortung darf sich nicht auf rein finanzielle Beiträge beschränken, sondern muss auch das Produktdesign und die Materialauswahl sowie die Einführung von Materialausweisen und Rückverfolgungssystemen beinhalten, die einen Einblick in die Zusammensetzung, den Wert und die Recyclingfähigkeit bieten. Zusammengefasst: Die Zukunft des Abfalls beginnt beim Produktdesign.   

 

Die wichtige Rolle des Staates wurde bereits erwähnt. Die jüngst in den Niederlanden geführte Diskussion über die Kunststoffabgabe führte in der Branche Anfang des Jahres aber zu großer Unruhe. Was meinen Sie dazu?

Die 2021 eingeführte europäische Plastiksteuer von 800 € je Tonne nicht recycelter Kunststoff-Verpackungsabfälle war ein gutes Signal, denn sie zwang zu mehr Abfallvermeidung und -recycling. In der Praxis werden die Kosten aber auf die Steuerzahler abgewälzt, nicht auf die Verursacher oder Hersteller.

 

Die Kunststoffabgabe, die die inzwischen nur noch geschäftsführende Regierung der Niederlande zusätzlich zur europäischen Steuer vorgeschlagen hat, ist allerdings noch problematischer. Denn wenn diese Abgabe tatsächlich der Abfallwirtschaft auferlegt wird, werden die Kosten steigen, während die Attraktivität der Niederlande als Investitionsstandort für Recyclingunternehmen sinkt und der Export von Abfällen begünstigt wird – was sicher nicht im Sinne der Kreislaufwirtschaft ist. Dadurch drohen die Niederlande in der Zukunft sowohl wertvolle Grundstoffe als auch nachhaltige Energie zu verlieren.

 

Was schlagen Sie vor?

Wir sind uns des Nutzens von Abgaben als Anreiz bewusst, plädieren aber beim Thema Kunststoffe für ein kreislauforientierteres Vorgehen mit Fokussierung auf den Ausbau der Erfassungs- und Recyclingkapazität und der Förderung der Verwendung von Recyclingkunststoffen. So werden sowohl die Qualität als auch die Recyclingfähigkeit auf intelligente Weise gefördert.


Was halten Sie von der deutschen Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie (NKWS)?
Deutschland beweist, dass die Kreislaufwirtschaft keine umweltpolitische, sondern eine industrielle Angelegenheit ist. Dort formuliert man klare Ziele und benennt die Notwendigkeit der Nutzung von Recyclingmaterial als Grundstoff, während man in die Ressourcenunabhängigkeit investiert und das Recycling als strategisches Instrument anerkennt. Diese Strategie unterstreicht die Bedeutung der öffentlich-privaten Zusammenarbeit und der Einbeziehung großer Recyclingunternehmen als Systemakteure. Außerdem fördert man verstärkt technologische Innovationen, einschließlich des chemischen Recyclings, KI-gesteuerter Sortierungsprozesse und der Digitalisierung von Materialströmen. Daraus können die Niederlande und die nächste Regierung zweifellos lernen. Die Kreislaufwirtschaft muss ein strategischer Schwerpunkt werden, ebenso wie die Energie- und Klimapolitik.

 

Text & Interview: Janine Damm

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