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Von Energie bis KI: Was der Wennink-Rapport für die deutsch-niederländische Wirtschaft bedeutet

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Wie bleibt die niederländische Wirtschaft in einer sich rasant verändernden Welt wettbewerbsfähig? Der Rapport von Peter Wennink, ehemaliger CEO von ASML, im Auftrag der niederländischen Regierung skizziert klare industriepolitische Weichenstellungen und eröffnet neue Perspektiven für die europäische und deutsch-niederländische Zusammenarbeit.

Peter Wennink

Der in den Niederlanden vorgestellte Rapport des früheren ASML-Chefs Peter Wennink sorgt in Wirtschaft und Politik – wie erwartet - für erhebliche Aufmerksamkeit. Auf mehr als 160 Seiten, in denen Deutschland 28-mal explizit erwähnt wird, zeichnet er das Bild einer niederländischen Volkswirtschaft, die vor harten Strukturentscheidungen steht – und die sich dabei vielfach an Deutschland orientiert.

 

Im Auftrag der scheidenden Regierung war Wennink im Herbst gebeten worden, ein unabhängiges Gutachten zum niederländischen Investitionsklima und der zukünftigen Ertragskraft zu erstellen, das den Kern des Draghi-Berichts auf den niederländischen Kontext übertragen sollte. „Meine Aufgabe war es, aufzuzeigen, wie die Niederlande strukturell in ihre Ertragskraft und strategische Relevanz investieren können, damit Wachstum, Innovation und Wohlstand in den kommenden Jahrzehnten erhalten bleiben“, sagt Wennink und fügte bei der Vorstellung seiner 29 Maßnahmen in der niederländischen Nachrichtensendung Nieuwsuur hinzu: „Wer nicht am Tisch sitzt, steht auf dem Menü.“

Wie steht es um die Niederlande?

Noch ist das Land wohlhabend, aber der Ukraine-Krieg, die Klimaziele und die Energiewende erfordern klare Entscheidungen und Handelskonflikte setzen die Ertragskraft unter Druck, die Europäische Union verliert an Einfluss in der Weltordnung. Gleichzeitig wächst die Wissenskluft in fast allen kritischen Technologien zwischen den Niederlanden und Europa auf der einen Seite und den Vereinigten Staaten und China auf der anderen Seite. Nach jüngsten Schätzungen des Centraal Planbureau (niederländisches Amt für Wirtschaftsplanung) sinkt das strukturelle Wachstum auf 0,9 Prozent pro Jahr, laut De Nederlandsche Bank könnte es sogar auf 0,5 Prozent zurückgehen.

 

29 Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Insgesamt hat Wennink, unterstützt von einer hochrangigen „Sounding Board“-Gruppe mit Spitzenvertretern unter anderem von Shell, Rabobank, Philips, DSM-Firmenich sowie aus Wissenschaft und Verwaltung, 29 Maßnahmen erarbeitet. Ein zentrales Thema des Berichts: die Energiepolitik. Wennink empfiehlt, den niederländischen Energiemix kurzfristig mit bezahlbaren Produktionsquellen und Steuervorteilen zu stärken, damit die Strompreise wettbewerbsfähig mit Belgien und Deutschland bleiben. Und langfristig sollte ein robuster Energiemix mit ausreichender Versorgungssicherheit für die Industrie und andere strategische Cluster das Ziel sein. Diesen Punkt priorisiert die Deutsch-Niederländische Handelskammer auch in ihren in der vergangenen Woche veröffentlichten Standpunkten mit Forderungen an die künftige niederländische Regierung.

 

Wennink verweist in seinem Bericht ausdrücklich auf Deutschland als Vorbild für die Energiewende: Neben massiven Investitionen in Solar- und Windenergie setzt Deutschland weiterhin auf neue Gaskraftwerke, um Schwankungen im Angebot auszugleichen. Diese Kombination sei nicht klimapolitisch widersprüchlich, sondern notwendig, um Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit zu gewährleisten. Auch für die Niederlande könne kurzfristig ein begrenzter Anstieg der CO₂-Emissionen unvermeidbar sein, um Netze zu stabilisieren, heißt es im Bericht.

Peter Wenning sagt: Wer nicht am Tisch sitzt, steht auf dem Menü.

151 Milliarden Euro nötig für  Investitionen

In fiskalischer Hinsicht sieht Wennink ungenutzten Spielraum: Mit einer Staatsverschuldung von rund 45 % des BIP liege die Niederlande deutlich unter Frankreich (114 %), den USA (121 %) und selbst unter dem als schuldenavers geltenden Deutschland (62 %). Dieses finanzielle Polster solle gezielt für Zukunftsinvestitionen genutzt werden – ähnlich wie Deutschland es seit Jahren in Schlüsseltechnologien tut.

 

Technologie, Start-ups und Fachkräfte

Denn die Technologieposition der Niederlande gerät zunehmend unter Druck. Die Niederlande verfügen weiterhin über eine starke technologische Ausgangsposition und leisten einen wichtigen Beitrag zur strategischen Handlungsfähigkeit Europas. Hochwertige Innovationsökosysteme wie Brainport Eindhoven, der Leiden Bio Science Park und Foodvalley rund um Wageningen sowie global führende Unternehmen wie ASML und Rijk Zwaan nehmen Schlüsselrollen in internationalen Wertschöpfungsketten ein. Und auch in Wissenschaft und Technologie ist die Basis noch solide: In den vom niederländischen Kabinett priorisierten Schlüsseltechnologien von Quantumtechnologie über Halbleiterindustrie bis zu Biomolekula-Technologie und Künstliche Intelligenz zählen die Niederlande – im Vergleich zu EU-15-Ländern, den USA und China – weiterhin zu den Top-10 bei der absoluten Zahl wissenschaftlicher Publikationen. Ebenso ist die Position bei Patenten, die als Indikator für technologische Stärke gelten, international nach wie vor respektabel. Gleichzeitig zeigt sich jedoch ein Abwärtstrend.

 

Innovationskraft unter Druck

Zwischen 2015 und 2025 haben die Niederlande in neun von zehn Schlüsseltechnologien an relativer Position eingebüßt. Besonders die rasante technologische Aufholjagd Chinas spielt dabei eine zentrale Rolle: Die chinesischen Research & Development-Investitionen sind zwischen 1998 und 2023 um den Faktor 39 gestiegen, China verfügt inzwischen über die weltweit größte Zahl an R&D-Beschäftigten und ist führend bei wissenschaftlichen Publikationen und Patenten. Diese Entwicklung spiegelt sich auch im Global Innovation Index wider. Während Länder wie Schweiz, Schweden und Singapur ihre Top-5-Platzierungen behaupten konnten und Staaten wie China, Indien und die Türkei weiter aufsteigen, sind die Niederlande in den vergangenen acht Jahren vom zweiten auf den achten Platz zurückgefallen. Die ehemals sehr starke Innovationsposition steht damit zunehmend unter Druck.

 

Mehr staatliche Investitionen in Technologie, Forschung und Skalierung

„Die größten R&D-Investoren von heute sind nicht zwangsläufig die Innovatoren von morgen“, schreibt Wennink, und sieht, dass in Europa der Schwerpunkt weiterhin auf reifen Technologien liegt, etwa in der Automobilindustrie, wo das Potenzial für radikale Innovationen und starkes wirtschaftliches Wachstum begrenzt ist. Im Gegensatz dazu haben die USA und China ihre R&D-Schwerpunkte in den Technologiesektor verlagert, mit Unternehmen wie Alphabet, Microsoft, Huawei und Tencent als führenden Investoren.

 

In den Niederlanden wurde zuletzt 2,3% des BIPs in Entwicklung und Forschung investiert, Tendenz fallend. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 3,1%, in den USA 3,5%. Zudem sind es vor allem die wenigen Großunternehmen in den Niederlanden, insbesondere ASML, Philips und NXP, die zusammen fast ein Viertel aller privaten R&D-Investitionen ausmachen. Allein ASML investierte im Jahr 2024 3 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung.

 

Um den zukünftigen Wohlstand und die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit zu sichern, müsse die Zahl der Unternehmen, die in großem Umfang in Forschung und Entwicklung investieren, deutlich steigen, so Wennink, und auch die zukünftige Regierung müsse in den kommenden fünf Jahren hierfür rund 15 Mrd. Euro extra an staatlichen Investitionen bereitstellen. Wennink listet in seinem Rapport 51 strategische Investitionsvorhaben auf, darunter auch eine AI-Gigafactory. Und schlägt die Gründung einer Nationalen Investments-Bank ebenso wie die Gründung einer öffentlichen Einrichtung vor, die für die Entwicklung von Innovationen verantwortlich sein soll.

 

Mehr Start-ups zum Scale-up

Ausdrücklich nach deutschem Vorbild auch die Forderung nach mehr staatlicher Förderung von Start-ups: Während in Deutschland 40,6 % der Start-ups in eine Wachstumsphase hineinwachsen (in den USA sogar 54,1 %), liegt dieser Anteil in den Niederlanden bei nur 21,5 %.

 

Und auch beim MINT-Nachwuchs zeigt sich eine deutliche Lücke: Deutschland bildet heute nahezu doppelt so viele Talente im naturwissenschaftlichen und technischen Bereich aus wie die Niederlande und liegt damit deutlich über dem europäischen und OECD-Durchschnitt. Der Anteil der Uni-Absolventen in den MINT-Fächern liegt in Deutschland bei 36 Prozent, in den Niederlanden sind es 20 Prozent.

 

Raumknappheit als politische Entscheidung

Rund 66 % der niederländischen Fläche werden landwirtschaftlich genutzt – deutlich mehr als in Belgien und Deutschland (jeweils etwa 50 %). Weniger als 3 % der Fläche stehen Unternehmen zur Verfügung, obwohl sie den Großteil der wirtschaftlichen Wertschöpfung erbringen. Durch die Umwidmung eines kleinen Teils der Agrarflächen könnten neue Räume für Industrie, Innovation und Energieinfrastruktur entstehen, ohne die Landwirtschaft substanziell zu gefährden. Und die Landwirtschaft steht noch in einer weiteren Empfehlung zentral: einer strukturellen Lösung der Stickstoff-Problematik, die die Niederlande lähmt. Konkrete, realistische Ziele, ein ehrgeiziger Zeitplan und ein ausreichendes Budget für die Umstrukturierung der Viehzucht und die Wiederherstellung der Natur sollen demnach für eine gesetzlich verankerte Stickstoffreduzierung sorgen.

 

Rotterdam vor einem tiefgreifenden Wandel

Der Rotterdamer Hafen, Europas größter Seehafen, spielt eine Schlüsselrolle im Bericht. Der Hafen Rotterdam steht vor einem tiefgreifenden Wandel von einem fossilen Umschlagzentrum hin zu einem Knotenpunkt der grünen Industrie. Netzausbau, Stickstoffauflagen und unsichere Investitionsbedingungen bremsen den Übergang, obwohl Rotterdam beste Voraussetzungen hat. Entscheidend sind klare Perspektiven, zusätzliche Flächen und eine stärkere Anbindung an Deutschland, etwa über den Delta-Rhein-Korridor, um neue grüne Industrieströme zu koordinieren und zu verbinden.

 

Der Bericht macht deutlich: Die Niederlande schauen in vielen zentralen Zukunftsfragen nach Deutschland. Umgekehrt bietet eine enge Partnerschaft mit den Niederlanden Deutschland die Chance, seine eigene Industrie- und Energiewende europäisch zu verankern. Der Wennink-Bericht könnte damit zu einem wichtigen Impuls für eine neue Phase der deutsch-niederländischen Zusammenarbeit werden.

 

Text: Janine Damm

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