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Industrieller Wohnungsbau auf der Überholspur

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Die niederländische Regierung hatte sich das Ziel gesetzt, 100.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen. Aber wie realistisch ist dieses Vorhaben - vor allem nach dem Bruch der Koalition? Wir sprachen mit Martijn Winters, Manager Sales & Marketing beim niederländischen Wohnbauunternehmen MorgenWonen, über die aktuellen Herausforderungen im niederländischen Wohnungsbausektor und über die Rolle, die industrieller Wohnungsbau hierbei spielt.

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Wie realistisch ist das Ziel, 100.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen?  

Martijn Winters: Das ist eine gewaltige Aufgabe, und sie wird immer größer. Derzeit realisieren wir etwa 70.000 Wohnungen, und diese Zahl ist weitgehend stabil. Die größten Verzögerungen ergeben sich aus langwierigen Genehmigungsverfahren, Einsprüchen und fehlenden Versorgungsanschlüssen. Hinzu kommen Einschränkungen durch den Naturschutz (Flora und Fauna), das Stickstoffproblem, Natura-2000-Gebiete und der Fachkräftemangel.  

Und nun ist auch das Kabinett gefallen. Was bedeutet das für den Wohnungsbau?  

Es bedeutet, dass wichtige Entscheidungen aufgeschoben werden und notwendige Gesetzesänderungen auf Eis liegen. Diese sind jedoch notwendig, um das Ziel, 100.000 Wohnungen pro Jahr zu bauen, zu erreichen. Die gute Nachricht ist, dass die Mietpreisbremse nicht in Krafttreten wird. Damit wird wieder Raum für Investitionen in den Neubau geschaffen, sowohl von Wohnungsbaugesellschaften als auch von gewerblichen Anbietern. Und diese werden angesichts des Wohnungsmangels - vor allem im sozialen Mietsektor - benötigt.

Martijn Winters 2

Welche Maßnahmen sind erforderlich, um den Wohnungsbau zu steigern?  

Es gibt drei Engpässe, die wir strukturell angehen müssen, um schneller bauen zu können. 

  

Erstens: Genehmigungsverfahren. Diese dauern immer noch zu lange. Vor allem bei industriellen Bauprojekten - bei denen es standardisierte Bauverfahren gibt - könnte dies viel schneller gehen. Zum Beispiel durch die Einrichtung einer „Fast Lane“ für den industriellen Wohnungsbau.   

 

Zweitens: Einspruchsverfahren. Die Einbindung von Anwohnern und Betroffenen ist wichtig, aber Einspruchsverfahren verzögern Projekte erheblich. Der Gang vor das Gericht ist heutzutage eher die Regel als die Ausnahme. Es ist wichtig zu prüfen, wie diese Verfahren beschleunigt werden können, ohne das Recht auf Einspruch einzuschränken.   

 

Und drittens: die Verfügbarkeit von Versorgungsanschlüssen. In vielen Fällen sind die Gas-, Wasser- oder Stromanschlüsse bei der Übergabe der Immobilie noch nicht fertig. Auch diese Unternehmen haben Kapazitätsprobleme - sowohl was das Netz als auch was das Personal betrifft. 

Können Sie das Fast-Lane-Konzept, das sie gerade erwähnten, erläutern? 

Nach den derzeitigen Vorschriften macht es keinen Unterschied, ob man traditionell oder industriell baut - die Genehmigungsverfahren sind identisch. Im industriellen Wohnungsbau geht es aber oft um standardisierte Konzepte: Häuser, die im Grunde genommen gleich sind. Das macht es möglich, Verfahren zu entwickeln, bei denen diese Haustypen vorab genehmigt werden. In der Folge können die Gemeinden Umweltgenehmigungen für Projekte, die in diesen Rahmen fallen, schneller erteilen. Auf diese Weise können wir eine Menge Zeit sparen. 

Passen wirklich alle industriell gebauten Häuser in einen solchen gemeinsamen Rahmen?  

Im Prinzip ja. Große Bauunternehmen haben heute Tochtergesellschaften, die sich ganz auf den industriellen Wohnungsbau konzentrieren. VolkerWessels hat zum Beispiel MorgenWonen, Van Wijnen hat Fijn Wonen. Sie stellen standardisierte Häuser in einer Fabrik her. Ob ein solches Haus nun in Zeeland oder Groningen steht - die Basis ist praktisch dieselbe. Oft unterscheidet sich nur die äußere Ausführung, wie zum Beispiel die Art der Ziegelsteine. Diese Häuser können sehr leicht einen Stempel bekommen, der zeigt, dass dieses Konzept in den Grundlagen genehmigt ist. Wenn man diese Art von Häusern dann außerhalb des regulären Verfahrens genehmigen könnte, könnten diese Bauprojekte schneller eine Umweltgenehmigung erhalten. Denn wir wollen nicht nur mehr bauen, sondern auch schneller bauen.

MorgenWonen bouwfoto

Wie schneidet das industrielle Bauen im Vergleich zum traditionellen Bauen in Bezug auf Geschwindigkeit, Qualität und Nachhaltigkeit ab? 

Die industrielle Bauweise steht der traditionellen Bauweise in diesen drei Punkten in nichts nach. Pro Produktionslinie (MorgenWonen hat beispielsweise zwei) bauen wir ein seriell gefertigtes Haus pro Tag – das ist deutlich schneller als die traditionelle Bauweise. Dank der konditionierten Bedingungen liefern wir Häuser auf demselben hohen Qualitätsniveau. Und weil wir in großem Maßstab produzieren, sinken die Preise und sorgen für bezahlbare Wohnungen.   

 

Auch im Hinblick auf Nachhaltigkeit machen wir große Fortschritte. Wir verwenden Materialien wie Betongranulat aus altem Beton wieder und erfassen alle verwendeten Materialien in Madaster, einem Materialpass. Auf diese Weise wissen wir genau, welche Rohstoffe in einem Haus verwendet wurden, was eine Wiederverwendung in der Zukunft ermöglicht. Wir legen die Messlatte immer höher, um noch nachhaltiger zu bauen.  

Sehen Sie in Zukunft eine Verlagerung weg vom traditionellen hin zum industriellen Bauen? 

Traditionell Bauen wird immer eine Rolle spielen. Stadtentwicklungspläne erfordern Variationen, vor allem im höheren Preissegment, was oft eine individuelle Anpassung erfordert. Der Industriebau hingegen wird zunehmend für das mittlere Preissegment und den sozialen Wohnungsbau eingesetzt werden. Letztlich wird es eine Kombination werden: Industriebau als Ergänzung zum traditionellen Bau. Ich erwarte, dass sich der Industriebau stärker durchsetzen wird, aber immer in Ergänzung zum traditionellen Bau.   

Was erwarten Sie von der scheidenden Regierung?  

Um etwas zu erreichen, brauchen wir eine funktionierende Regierung. Bis die Wahlen vorbei sind, ein Kabinett gebildet ist und ein Koalitionsvertrag auf dem Tisch liegt, wird viel Zeit vergehen... Gefordert ist beim Wohnungsbau aber nicht nur die Regierung, sondern die ganze Gesellschaft: die Unternehmen, die für die Anschlüsse Versorgungsunternehmen verantwortlich zeichnen, Bauunternehmer, aber auch Anwohner, die Einwände haben. Wir müssen als Gesellschaft akzeptieren, dass eine Beschleunigung notwendig ist - und dass wir alle unseren Beitrag dazu leisten müssen. 

Interview: Hendrike Oosterhof

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