Aufsichtsräte, Verwaltungsräte, CEOs und andere hochrangige Unternehmenslenker: Bei Stefan C. Peij drücken sowohl angehende als auch zukünftige Aufsichtsräte und Manager in Spitzenpositionen die Schulbank: an der Governance Academy in der niederländischen Provinz Utrecht. Genauer: in der Orangerie des Landguts Parc Broekhuizen in Leersum. Zentral und idyllisch gelegen, mit Schlosshotel, Teich, Park und Michelin-Restaurant auf dem Terrain. Welche Fächer werden hier gelehrt, welche Eigenschaften trainiert – und kann man das Aufsichtsrat-Sein überhaupt an einem Institut lernen?
Die Idee zu seiner Governance Academy hat Peij im Jahr 2005. Damals dominieren etliche Konzerne und vor allem deren Unternehmensführung die Schlagzeilen. In diese Zeit fällt unter anderem der Bilanzfälschungsskandal beim US-Energiekonzern Enron, aber auch der Skandal von Shell wegen der Fehleinschätzung der eigenen Ölreserve. „Und auch bei den damaligen Fusionen bemerkte ich immer wieder, dass einem Board die eigenen Positionen und Interessen wichtiger waren als die Fusion. Oder dass Unternehmen die eigenen Interessen über das Gemeinwohl stellten“, erinnert sich Peij.
Der Verhaltenswissenschaftler promoviert damals an der Universität Amsterdam zum Thema Boardroom-Kultur und untersucht in seiner Dissertation das Spannungsfeld und die Rollenvermischung von Geschäftsführung und Kontrollgremium. „Dabei fiel mir auf, dass es in den Führungsetagen ziemlich viele Verhaltensprobleme gibt“, sagt Peij. Und leitet daraus das Mantra seiner Governance Academy ab: Improve your board.
Mit dem „Handboek Corporate Governance“ hat er damals zudem schon ein Standardwerk für gute Unternehmensführung und -überwachung veröffentlicht. Sein darin entwickeltes Neun-Boxen-Modell, das die neun großen Themenfelder für erfolgreiches Corporate Governance beleuchtet, bildet das Gerüst für die Kurse an der Academy. Für jeden der neun Themenblöcke, die von strategischen über operationelle bis zu juridischen Aspekten reichen, sucht er nach den besten Dozenten. Dank seiner vielen profunden Gesprächen mit Top-Managern und Aufsichtsratsmitgliedern für seine Dissertation kann er auf ein hochkarätiges Netzwerk zurückgreifen. Und verfügt so bei der Gründung seines Ausbildungsinstituts sowohl über eine umfangreiche praktische als auch eine wissenschaftlich fundierte Grundlage.
Mit einem Team aus mehr als 50 erfahrenen Dozenten hilft Peij seitdem Vorstandsmitgliedern und Aufsichtsräten dabei, Qualität und Effektivität ihres Boards zu verbessern. Das geschieht im persönlichen Einzeldialog mit den Dozenten und mittels Peer-to-peer-Austausch mit den anderen Kursteilnehmern. Wichtig ist dem Team um Peij eine holistische Herangehensweise und dass den Unternehmenslenkern und -kontrolleuren ihre breite Verantwortlichkeit bewusst wird. „Als Vorstand oder Aufsichtsratsmitglied ist man gegenüber Aktionären genauso verantwortlich wie gegenüber Mitarbeitern, Kunden und dem Planeten. Alle Stakeholders sollten dasselbe Gewicht haben und ihre Belange über dem eigenen Interesse stehen.“
Zentraler Bestandteil der Ausbildung: zu lernen, die richtigen Fragen zu stellen. „Das klingt sehr einfach, ist aber sehr schwer. Denn das Stellen der richtigen Fragen ist ziemlich schwierig, wenn man als Aufsichtsrat im Schnitt nur alle sechs Wochen in einem Unternehmen ist und trotz dieser geringen Frequenz alles verstehen muss“, sagt Peij. „Wir lehren nicht nur, welche Fragen gestellt werden müssen, sondern auch wie man sie stellt.“
Was zeichnet einen guten Aufsichtsrat darüber hinaus aus? Peij: „Der ideale Aufsichtsrat ist engagiert, aber verfügt dennoch über die richtige Distanz. Er ist erfahren, wobei nicht nur berufliche Erlebnisse und Rückschläge zählen, sondern auch private – und welche Learnings man mitgenommen hat.“ Außerdem sollten Aufsichtsräte ihr Ego nicht in den Vordergrund stellen. Und: „Ein Aufsichtsrat muss sich selbst gut kennen und wissen, mit welcher Brille er Sachverhalte betrachtet. Und genau das trainieren wir.“
Mehrere tausend Aufsichtsräte haben seit der Gründung vor rund 20 Jahren die Lehrgänge absolviert. Im nächsten Jahr startet die Governance Academy mit dem Lehrgang „Zertifizierte Aufsichtsrätin/Zertifizierter Aufsichtsrat“ auf dem deutschen Markt. Zusammen mit Niek Verkaik, Ansprechpartner der Governance Academy in Deutschland, hat Peij den Kurs mit Präsenzveranstaltungen und E-Learnings in deutscher Sprache aufgesetzt. Ein logischer nächster Schritt, denn beide haben bereits die Führungsgremien von niederländischen Unternehmen wie Tennet in Deutschland begleitet. Vom Unternehmensstart bis zur heutigen Organisation mit rund 3000 Mitarbeitern und entsprechendem Kontrollgremium.
Mit an Bord sind bekannte deutsche Persönlichkeiten als Dozenten: der ehemalige Deutsche Telekom-Vorstand Thomas Kremer. Die globale Leiterin des nachhaltigen Investierens beim Milliardenfonds APG Claudia Kruse. Und Martin Sonnenschein, Aufsichtsratsvorsitzender der Heidelberger Druckmaschinen AG.
Zwischen Deutschen und Niederländern gibt es natürlich immer einige Kulturunterschiede, so auch in punkto Unternehmensführung und Kontrollgremien. Was beiden gemein ist: „Der Schwierigkeitsgrad der Gespräche und Aufgabe ist in beiden Ländern vergleichbar.“
Text: Janine Damm