Nach 336 Tagen ist Schluss: Mit dem Austritt seiner PVV-Partei aus der niederländischen Regierungskoalition in der vergangenen Woche hat Geert Wilders das Ende des Kabinetts unter Premierminister Dick Schoof besiegelt. Hintergrund war ein Streit über die Asyl- und Migrationspolitik, allerdings – so die einstimmige Meinung der Koalitionspartner VVD, NSC und BBB – forcierte Wilders den Bruch strategisch, um angesichts sinkender Umfragewerte durch Neuwahlen wieder an Profil zu gewinnen. Denn das Thema Asyl- und Migrationspolitik war eines der wenigen Themen, bei denen sich die sonst thematisch mitunter sehr weit auseinander liegenden Parteien verständigen konnten, und nahm bereits im miteinander geschlossenen Hoofdlijnenakkoord, der die Eckpunkte der Koalition festlegte, vier der 26 Seiten ein. Premier Schoof und die Partei-Chefs der Koalitionspartner kritisierten den Schritt von Wilders darum unisono als „unnötig und unverantwortlich“.
Neuwahlen am 29. Oktober
Warnung vor Stillstand
Mit dem Fall der Regierung wird nun ein politischer Stillstand befürchtet, weil drängende Dossiers wie die bereits angekündigte Erhöhung des Verteidigungsetats, die Ukraine-Unterstützung, die Wohnungskrise, die Stickstoff-Problematik, die Migrationspolitik, die Stärkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit, Klimaschutzmaßnahmen, Netzausbau und die Finanzierung der verbleibenden Regierungs-Projekte vorerst aufgeschoben werden könnten. Denn die geschäftsführende Regierung ist nun auf Mehrheiten mit der bisherigen Opposition angewiesen. Kontroverse Themen könnten vorerst nicht weiter behandelt werden – und bis eine neue Regierung im Amt ist, vergehen Monate.
Die Niederlande können sich keine weitere Periode der politischen Stagnation leisten.
~ Ingrid Thijssen, VNO-NCW-Präsidentin
Nach dem Aus stellt sich auch die Frage nach den umgesetzten Plänen des Kabinetts. Demnach wurden in der 336-tägigen Amtszeit weniger Vorhaben umgesetzt als in den gleichen Zeiträume der Kabinette Rutte III und IV, die ebenfalls vorzeitig beendet wurden. Nur sieben Gesetzte konnten laut Analyse der Nachrichtensendung Nieuwsuur verabschiedet werden, daneben 41 Beschlüsse, für deren Umsetzung nicht der Weg über Erste und Zweite Kammer nötig ist.
Nach dem Regierungsaustritt konnte die PVV den Abwärtstrend stoppen und von 28 auf 33 Sitze zulegen – und wäre darum bei den Wahlen erneut stärkste Partei, wie die neueste Wahlumfrage vom 10. Juni zeigt. Dicht gefolgt von der VVD mit 26 Sitzen, dem Zusammenschluss von GroenLinks-PvdA mit 25 Sitzen und der CDA, die in den vergangenen Monaten deutlich zulegen konnte und aktuell 20 Sitze erhalten würde, nach 5 Sitzen bei den vergangenen Parlamentswahlen. Die heutigen Regierungsparteien BBB mit 3 Sitzen und NSC mit nur noch einem Sitz würden deutlich abgestraft.
Könnte im Oktober ein weiterer Rechtsruckerfolgen mit einer noch stärkeren PVV und Geert Wilders als Ministerpräsident? VVD-Chefin Dilan Yesilgöz hatte am Pfingstwochenende eine erneute Koalition mit der PVV ausgeschlossen, auch die CDA unter Henri Bontenbal positioniert sich als stabile Alternative der Mitte und schließt eine künftige Koalition mit Wilders aus. Damit könnte die PVV – selbst bei Wahlerfolgen – politisch isoliert werden. Darum erscheint derzeit eine neue Koalition aus der Mitte wahrscheinlich, jedoch bleibt die politische Lage in den Niederlanden volatil und schwer prognostizierbar.
Text: Janine Damm
Foto: RVO / Valerie Kuypers