Der Unternehmerdialog ist im Veranstaltungskalender fest gesetzt. Und es fanden am 24. Oktober wieder viele Unternehmer und Manager aus beiden Ländern den Weg in den Nieuwspoort Den Haag. Diesmal zu Gast: Jens Spahn, ehemaliger Bundesgesundheitsminister und aktuell stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagfraktion – mit der Ambition, nach den Bundestagswahlen im nächsten Jahr wieder eine Rolle in der Regierung zu spielen. Einen Anspruch auf einen konkreten Ministerposten, wie in vielen Medien bereits zu lesen, äußerte er nicht. „Ich wäre aber natürlich sehr gern Teil des Teams.“ Und natürlich habe er Ambitionen. Denn: „Ohne Ehrgeiz schafft man ja auch kein Seepferdchen.“
Im Gespräch mit Journalistin und NPO1-Moderatorin Sophie Derkzen sprach Jens Spahn zunächst allgemein über den Standort Deutschland. Die Polarisierung der Gesellschaft. Investitionen, die Unternehmen lieber im außereuropäischen Ausland statt in der Bundesrepublik tätigen. Kaufkraftverlust. Deutschland als einziges G7-Land, das schrumpft. „Das Feeling derzeit: Das Beste liegt hinter uns. Aber wenn man so jeden Morgen aufsteht, macht der ganze Tag keinen Spaß mehr. Wir müssen wieder hin zum Gefühl: The best is yet to come“, so Spahn.
In einem Impulsvortrag teilte der CDU-Politiker seine Ideen, wie nicht nur Deutschland, sondern auch Europa die Wettbewerbsfähigkeit stärken könnten: „Wir müssen den Green Deal weiterentwickeln: zu einem Industrial Deal und zu einem Wettbewerbsfähigkeits-Deal. Wir müssen klimaneutral werden, aber zugleich Industrieland bleiben.“ Gelingen könne das mit Deutschland und den Niederlanden als Impulsgebern in Brüssel. „Es ist nicht Gott gegeben, was in Brüssel entschieden wird.“ Beide Länder müssten Allianzen mit anderen EU-Ländern schmieden, die ähnlich ticken.
Spahn sieht außerdem Potential in der Zusammenarbeit beider Länder auf dem Gebiet von Forschung. „Und wir müssen wieder mehr Ambitionen haben und uns Großprojekte zutrauen.“ Und nannte als Beispiel den Transrapid, der von Siemens und ThyssenKrupp entwickelt und im Emsland getestet wurde – aber nie in Deutschland als Verkehrsmittel zum Einsatz kam, sondern in Schanghai. In Deutschland wurden die Transrapid-Projekte nach langjährigen Planungsphasen abgebrochen.
Auch zur Sprache kam die starke Abhängigkeit von russischem Gas, eine Folge des Abschaltens der Atomkraftwerke unter der CDU. „Mit dem Wissen von heute war das sicher ein Fehler“, sagte Spahn, „wer grün werden will, sollte erst einmal Kohlekraftwerke abschalten.“ Aber damals wurde die Entscheidung eben vor dem Hintergrund der Atomkatastrophe in Fukushima getroffen.
Ebenfalls kritisch hinterfragte Sophie Derkzen den aktuellen Sanierungsstau bei Infrastruktur und die schleppende Digitalisierung in Deutschland. Wurde in 16 Jahren unter CDU-Fühhung nicht der Moment für zukunftsweisende Investitionen verpasst? Es lag an Planungsprozessen, dass Infrastruktursanierungen nicht umgesetzt wurden: „Die Bürokratie muss abgebaut werden, um Innovationen zu vereinfachen.“ Das gilt nicht nur für den Staat, sondern auch für Unternehmen. Und was die Digitalisierung erschwert: Die Zuständigkeit für Datenschutz und Datensicherheit liegt wegen des föderalen Systems bei den einzelnen Ländern: „16 Bundesländer und ein Bundesdatenschutzbeauftragter – auch hier brauchen wir mehr Pragmatismus“, so Spahn.
Richard Jager (CEO Randstad Group DACH) wollte wissen, warum es derzeit in Deutschland nicht möglich ist, dringend benötigte Fachkräfte aus dem Ausland als Zeitarbeitskräfte anzuwerben. „Deutschland ist hier wie ein Stein im Wasser, der sich nicht mit der Strömung mit bewegt“, so Jager. Und auch das Imageproblem von Zeitarbeit in Deutschland sprach Jager an, die noch immer als „prekäre Arbeit“ gelte.
Willemien Terpstra( CEO Gasunie) wollte wissen, inwiefern Spahn den Aufbau einer CO2-Infrastruktur auf dem Schirm hat und wie für Wasserstoff ein Business Case geschaffen werden kann. Dirk de Bilde (CEO Siemens Nederland) macht sich Sorgen um die Innovationskraft in beiden Ländern. „Es gibt keinen Mangel an Ideen. Wir haben genug Start-ups und Scale-ups. Aber sobald sie groß werden, werden sie gekauft – aus dem außereuropäischen Ausland.“
Als Europa zu denken und nicht nationalistisch ist laut Spahn eine Lösung. Der europäische Binnenmarkt müsse geschützt und ausgebaut werden: „Was fehlt, ist ein Energie-, ein Digital- und ein Kapitalbinnenmarkt in Europa. Und ein grundlegendes neues Prinzip in der EU-Politik: Wir machen auf EU-Ebene nur noch, was dem Wachstum dient.“
Foto: Etienne Oldeman
Video: WHS Media
Text: Janine Damm