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Interview mit DNHK-Präsidentin Eva van Pelt

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Sie studierte anfangs Medizin, dann Betriebswirtschaftslehre. Schließlich landete sie wieder in der Welt der Medizin und der Biowissenschaften, wo sie rund 25 Jahre lang Erfahrungen sammelte: Eva van Pelt ist heute in verschiedenen Gremien tätig – auf strategischer Ebene, aber auch, in dem sie Unternehmen und Individuen dabei unterstützt, das Beste aus sich herauszuholen. Wir sprachen mit der DNHK-Vorsitzenden über Entwicklungen im Gesundheitswesen, Vielfalt in der Wirtschaft und darüber, wie sie als Deutsche, die über ein Jahrzehnt in den Niederlanden gelebt hat, deutsch-niederländische Unterschiede sieht.

Afbeelding Eva van Pelt

Frau Van Pelt, haben Sie sich bewusst für den Gesundheitssektor entschieden?

Medizin war natürlich eine bewusste Entscheidung, aber in meinem Krankenhauspraktikum habe ich festgestellt, dass ich mehr Flexibilität suchte und international arbeiten wollte. Ich wechselte daher zu BWL und schrieb meine Diplomarbeit bei Siemens. Dort wechselte ich in die IT-Abteilung und war an der Bereitstellung von IT-Anwendungen für die öffentliche Hand, den Krankenhausbereich und Apotheken beteiligt, also für das Gesundheitswesen. Bei Siemens Niederlande war ich dann für die elektronische Patientenakte zuständig, damals ein großes gesellschaftliches Thema.

Klingt ziemlich technisch.

Ja, aber das Schöne war: Ich stand im Kontakt mit Patienten und Gesundheitsdienstleistern. Als wir das Siemens-System in den Niederlanden implementierten, bin ich zum Beispiel mit den Mitarbeitern mitgelaufen, um zu sehen, wie sie arbeiten. Mit Ärzten, Pflegern und dem Vorstand haben wir besprochen, wie die Systeme eingerichtet werden sollten.

Sie haben in diesen Jahren zweifellos viele außergewöhnliche Entwicklungen im Gesundheitswesen miterlebt. Welche ist Ihrer Meinung nach eine der wichtigsten?

Im Jahr 2003 arbeiteten wir daran, das menschliche Genom zu entschlüsseln, was enorme Auswirkungen auf die Entwicklung von Diagnostik und Arzneimitteln haben sollte. Zu seiner vollständigen Entschlüsselung fehlten damals aber noch Informationen. Das gelang erst zwei Jahrzehnte später. Heute glauben wir, es ganz zu verstehen. Dadurch können wir Krebs und Autoimmunerkrankungen mit Zell- und Gentherapie bekämpfen und Fortschritte in der personalisierten Medizin machen. KI dient der Wahl und Anwendung der optimalen Behandlungsmethode – eine rasante Entwicklung, von der ich mir viel erhoffe.

Gute Nachrichten also. Wo liegen die Herausforderungen?

Bei den steigenden Kosten. In den 1970er/80er-Jahren boomte das Gesundheitswesen mit neuen Lösungen, Techniken, Medikamenten und großen Kapazitäten. All das steht nun aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Überalterung der Bevölkerung unter Druck. Das bedeutet: Wir müssen mit weniger Geld mehr erreichen. Aber es bieten sich auch Chancen für neue Anwendungen. KI und Robotik spielen dabei eine große Rolle.

Wie sieht das konkret aus?

Mit intelligenten Geräten und Echtzeitüberwachung können Ärzte aus der Ferne feststellen, ob jemand ins Krankenhaus muss oder auf andere Weise versorgt werden muss. Möglich wird dies durch Wearables wie Bluttests, die die Patienten selbst zu Hause durchführen. Aber auch innerhalb der Krankenhäuser erlauben Robotisierung und künstliche Intelligenz mehr Diagnostik und gezielte Behandlungen.

Gehen Deutschland und die Niederlande mit diesen Neuerungen auf gleiche Art um?

Die Niederlande haben einen pragmatischen Ansatz und haben weniger Angst vor Veränderungen. Daher greifen sie Innovationen schneller auf. Deutschland ist vorsichtiger, bereitet sich aber letztlich besser vor. Wenn man den pragmatischen niederländischen Ansatz mit der deutschen Gründlichkeit kombiniert, tun sich ungeahnte Möglichkeiten auf.

Gibt es große Unterschiede zwischen den beiden Ländern im Gesundheitswesen?

In den Niederlanden schlägt der Hausarzt dem Patienten eine strukturierte Vorgehensweise vor und überweist ihn an einen Facharzt. In Deutschland sucht man sich diesen selbst ohne Zutun des Hausarztes. Das kann problematisch sein. Ein weiterer Unterschied ist in den Niederlanden die Haltung: „Nicht jammern, sondern weitermachen!“: Patienten werden schon mal mit einer Paracetamol nach Hause geschickt – manchmal mit weitreichenden Folgen. Übrigens stehen beide Länder im Welt-Ranking der Gesundheitssysteme in den Top 15.

 

In beiden Länden steht das Investitionsklima unter Druck. Was können wir tun, um für ausländische Unternehmen wieder attraktiv zu werden?

Starke Unternehmen haben schon immer Anziehungskraft auf andere Unternehmer ausgeübt. In Deutschland entstanden zwischen 1850 und 1900 Familienunternehmen wie Bosch, Siemens und Miele. Sie zogen andere Unternehmer an und schufen Firmencluster, die miteinander arbeiteten und bedeutende Innovationen und Technologien entwickelten. Deshalb ist es wichtig, IT-Unternehmen, Start-ups und KMU anzuziehen, um innovationsfreundliche Cluster zu schaffen – insbesondere im Gesundheitssektor. Dies erfordert ein Zusammenspiel zwischen Politik, Verwaltung und ausländischen Investoren, die unsere Länder als interessanten Standort betrachten.

Dennoch hört man regelmäßig von Unternehmen, die ins Ausland abwandern.

Die Unternehmen sehen dort offenbar Vorteile, die ihrer Meinung nach die Nachteile eines Landes wie China aufwiegen. Denn dort gibt es kein demokratisches und transparentes System. Die Bürokratie wird in unseren beiden Ländern zu Recht als ein Hindernis angesehen. Unsere Gesetze und Vorschriften sind so gut, dass sie zum Hemmnis werden. In China sind Datenschutzrechte begrenzt und Daten können frei verwendet werden. Auch in anderen Ländern außerhalb Europas erhalten Unternehmen leichter Zugang zu Patientendaten. Damit können sie ihr Produkt weiterentwickeln. Wir könnten die Zügel etwas lockern und unsere Daten anonymisiert und randomisiert für neue Entwicklungen einsetzen.

Sind Datenschutzgesetze dann nicht wichtig?

Ja, aber wir übertreiben es. Bei uns muss alles perfekt sein, im Vordergrund steht das Recht des Einzelnen. So kommen wir nicht weiter. Gerade im Gesundheitswesen müssen wir vom Individualismus wegkommen. Das Risiko, dass anonymisierte Labordaten versehentlich irgendwo landen, ist überschaubar – das Risiko ausbleibender Innovation umso größer. Die Datenschutzgrundverordnung muss darum Gelockert werden – das ist essenziell fürs Geschäftsklima. Zum Glück lassen sich viele Unternehmen von den strengen Regeln nicht abschrecken, sondern sprechen mit der Politik. Ich war an solchen Gesprächen oft beteiligt.

Sie haben in mehreren großen Gesundheitsunternehmen gearbeitet. Jetzt sind Sie in den Aufsichtsräten von Qiagen, Paul Hartmann und Ottobock. Wie füllen Sie diese Rolle aus?

Drei Gesundheitsunternehmen mit sehr unterschiedlichen Produkten. Ich fühle mich geehrt, mein Wissen im Bereich Medizin und Life Sciences als Aufsichtsratsmitglied weitergeben zu können. Ich kontrolliere nicht nur, sondern bin auch ein Sparrings-Partner. Mit meiner Erfahrung möchte ich einen sinnvollen Beitrag zu den Diskussionen mit dem Vorstand leisten.

Ich habe aber auch mit Endprodukten und Anwendern zu tun. Ottobock zum Beispiel hat sich auf Prothesen für Athleten spezialisiert, die unter anderem an den Paralympics teilnehmen. Während der Spiele in Paris spreche ich mit ihnen, um von ihren Erfahrungen mit den Prothesen zu lernen. So helfe ich den Unternehmen, besser zu werden.

Zwei der Unternehmen sind deutsch, aber Qiagen ist in den Niederlanden ansässig. Sie haben in beiden Ländern gearbeitet. Wie unterscheiden sie sich am Arbeitsplatz?

Ich denke, die Kulturen werden sich dank Diversität und Internationalisierung ähnlicher. Aber in Deutschland ist die Hierarchie immer noch wichtiger – wenn der CEO etwas entscheidet, dann passiert es auch. In den Niederlanden muss man sich erst als Manager beweisen. Das ist eine ganz andere Umgehensweise. Inzwischen akzeptieren die Generation Z und andere neue Generationen auch in Deutschland nicht mehr blindlings die Autorität von Managern.

Wie sehen Sie das?

Ich finde es wichtig, Mitarbeitern dabei zu helfen, über sich selbst hinauszuwachsen, indem man dienend und situativ führt und auf die Mitarbeiter-Bedürfnisse eingeht. Etwa dabei, wie viel Anleitung oder Ermutigung er oder sie braucht. Ich gehe gerne auf diese Bedürfnisse ein. So fühlen die Menschen sich sicher und trauen sich, aus ihrer Komfortzone herauszutreten. Das nutzt auch der Firma. Das schönste Feedback, das ich bekommen habe, war: „Sie haben dafür gesorgt, dass ich das Beste aus mir herausholen konnte.“

Wie sieht es mit der Diversität im Gesundheitssektor aus?

Da ist noch viel Luft nach oben. Obwohl in Krankenhäusern viele Frauen in Führungspositionen beschäftigt sind, besteht die Spitze noch immer überwiegend aus Männern. Das ist in keiner Weise erklär- und vertretbar, denn mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist weiblich. Es gibt also viele gut ausgebildete, verfügbare Frauen für Führungspositionen. Dass dies mehr beachtet wird, ist aus moralischer Sicht wichtig, aber auch aus wirtschaftlicher Sicht. Schließlich erbringen vielfältige Teams bessere Leistungen.

Wie lässt sich das ändern?

Es ist erwiesen, dass man, wenn man jemanden für sein Team sucht, immer jemanden bevorzugt, der so aussieht wie man selbst. Das ist ein normales psychologisches Verhalten. Männer werden also eher Männer einstellen. Um dieses System zu durchbrechen, brauchen wir leider eine Frauenquote und auch eine Sensibilisierung der Führungskräfte. Trotz verschiedener Initiativen sehen wir, dass die Zahl der Frauen in Spitzenpositionen stagniert.

Haben die Initiativen nicht geholfen?

Anfangs ja. Wenn man sich die Daten ansieht, kann man feststellen, dass die Quote zu mehr Frauen in den Räten und Vorständen geführt hat. Aber viele Frauen sind seitdem wieder ausgestiegen. Meine Hypothese ist, dass das Klima in den Unternehmen noch nicht geeignet ist, damit Frauen ihre Leistung erbringen können, dass sie zum Beispiel noch gegen „Mansplaining“ ankämpfen müssen. Das hat mit Unternehmenskultur zu tun, aber auch mit Rahmenbedingungen wie Heimarbeitsmöglichkeiten, IT-Infrastruktur und Kinderbetreuung: all dem, was nötig ist, um besser arbeiten zu können und sich im Unternehmen wohl zu fühlen. Auch Regierungen spielen eine Rolle. Sie sollten dafür sorgen, dass alle die gleichen Rechte und Möglichkeiten haben, um privat und beruflich das zu erreichen, was sie wollen.

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