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Let's Talk Wahl 2021
Veranstaltungs-Sprache(n)
Deutsch
Beginn
10.03.2021 · 12:00
Ende
10.03.2021 · 13:00

Digital Lunch 2: Ausblick 17. März mit Prof. Dr. Friso Wielenga und Carsten Brzeski (ING)

Rutte bricht Rekorde. Und: zum Jahreswechsel ist die deutsche und niederländische Wirtschaft wieder auf dem Vorkrisen-Niveau.

Die Niederlande werden am 17. März historische Wahlen erleben. Warum? Zum ersten Mal gibt es 37 teilnehmende Parteien, von denen voraussichtlich 13 bis 15 ins Parlament einzutreten. Zum ersten Mal werden wegen Corona 3 Wahltage abgehalten. Und zu guter Letzt gibt es zum ersten Mal 10 weibliche Spitzenkandidaten. Es werden spannende Wahlen oder nicht?

Laut Professor Friso Wielenga, Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien, steht der Wahl-Gewinner jetzt schon fest: Minister Mark Rutte von der liberalen VVD (Volkspartei für Freiheit und Demokratie). "Rutte ist ein gewiefter Politiker, der sich zudem volksnah zeigt, z.B. wenn er mit dem Fahrrad zum König fährt." Nach den Wahlen in Deutschland im September ist er der am längsten amtierende Ministerpräsident in Europa und in 2022 auch der Premier mit der längsten Amtszeit in den Niederlanden. Mark Rutte hat die Corona-Krise nicht nur gut gemeistert, er besitzt auch ein Fingerspitzengefühl davor, was die Bürger wollen, nämlich einen starken Staat und weniger Neoliberalismus. Letztgenanntes hat zu einer zunehmenden sozialen Ungleichheit und Unzufriedenheit der Bürger mit der Regierung geführt. Obwohl die Kindergeldaffäre, wegen der die gesamte Regierung im Januar abgetreten ist, ja eigentlich eher das Misstrauen gegenüber dem Staat schüren müsste, ist das Umgekehrte der Fall: Nur ein starker Staat kann dieses Problem für den Bürger lösen. Darum hat sich die liberale VVD sozioökonomisch nach links verschoben – auch der Klimawandel ist jetzt eine Priorität der Liberalen -, was es für linke Parteien schwierig macht, sich zu profilieren. Die populistische PVV von Geert Wilders schneidet in den Umfragen immer noch gut ab, aber es gibt mindestens sechs bis sieben Parteien, für die ungefähr die gleiche Anzahl von Parlamentariern vorhergesagt wird, die aber weit hinter der VVD liegen.

Was bedeutet dies für eine mögliche Koalition? Eine Koalition linker Parteien schließt Wielenga aus. Eine Koalition der VVD mit CDA (Christendemokraten), D66 (Sozial-Liberale) und GroenLinks (Grüne) oder PvdA (Sozialdemokraten) ist denkbar. Durch die Vielparteienkoalition rechnet man jedoch auf lange und schwierige Koalitionsverhandlungen.

Können die Niederlande mit so vielen Parteien überhaupt eine Demokratie führen? Wielenga: "Ja, in den Niederlanden haben wir die Tradition, kleine politische Parteien zu haben. Eine 5%-Hürde wie in Deutschland passt nicht zu den Niederlanden, weil die Niederlande ein Land der Minderheiten sind und alle gut vertreten sein wollen. Der niederländische Pragmatismus bzw. die sogenannte Konsensus-Politik sorgt dafür, dass das Land regierbar bleibt.“ Die politische Landschaft ist seit 1994 volatil, wie Wielinga mit einigen Statistiken zeigt. "Die Niederlande haben keine großen Parteien mehr, sondern eine große Fragmentierung."

Und was sind die Folgen der Wahlen für die Wirtschaft? In den kommenden Jahren sehen wir eine Trendwende: Viele Länder werden die Sparpolitik stoppen und mehr investieren, um das Wirtschaftswachstum sicherzustellen, sagt Carsten Brzeski, Direktor von Macro Research und Chefökonom der Eurozone bei ING. Sowohl die Niederlande als auch Deutschland werden in identische Sektoren wie Bildung, Digitalisierung, Gesundheitswesen, Klima und nachhaltige Projekte investieren. "Erst wenn sich die Wirtschaft wieder öffnet, werden wir sehen, wieviel wirtschaftlicher Schaden entstanden ist. Die Folgen für den Arbeitsmarkt werden wir erst in der zweiten Hälfte dieses Jahres erleben. Aber die Länder werden anfangen, sich aus der Krise heraus zu investieren. Für die Niederlande und in Deutschland sind die Zinsen sehr gering, wodurch diese relativ einfach Geld am Kapitalmarkt bekommen können. Den Trend zu höherer Staatsverschuldung sehen wir weltweit. Obwohl mehr in die Wirtschaft investiert wird und die Staatsverschuldung steigt, bin ich sehr zufrieden mit den Maßnahmen, die beide Länder während der Coronakrise ergriffen haben. Infolgedessen werden die Niederlande und Deutschland höchstwahrscheinlich die ersten Länder in der Europäischen Union sein, die um die Jahreswende 2021/2022 auf das wirtschaftliche Niveau vor der COVID-19-Krise zurückkehren. Die anderen Länder brauchen dafür ein Jahr länger“. Aber etwas besorgt ist Brzeski dennoch: keine einzige Partei hat einen konkreten Standpunkt über Europa. „Die Parteiprogramme sind da sehr schwammig und wenn man etwas über Europa liest, bleiben die Inhalte sehr bedeckt.“

Wird die deutsche Landtagswahl die deutsch-niederländische Zusammenarbeit noch beeinflussen? "Die Beziehungen zwischen den Niederlanden und Deutschland werden ungeachtet des Wahlergebnisses in beiden Ländern gut bleiben", so Wielenga. "Dies ist unabhängig davon, wie die Wahlen in den Niederlanden und Deutschland ausgehen. Die Niederlande sind nach dem BREXIT auf der Suche nach neuen Partnern, womit Deutschland und den osteuropäischen Ländern mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird." Europa muss gut zusammenarbeiten, sonst kann unsere Wirtschaft gegenüber China und Amerika nicht mithalten. Der neue amerikanische Präsident Biden steht einer engeren Beziehung zur Europäischen Union wohlwollend gegenüber. Brzeski: "Die Haltung von Europa Richtung China ist viel kritischer geworden und es wird darüber nachgedacht, wie wir den Handel mit China am besten betreiben. Die Spielregeln werden angepasst.‘‘ Und damit ist es wiederum deutlich geworden, wie wichtig eine deutsch-niederländische Zusammenarbeit ist.

Kiona Jansen

Kiona Jansen

Leiterin Events & Kommunikation

Redner

Friso Wielenga

Direktor Zentrum für Niederlande-Studien

Carsten Brzeski

Global Head of Macro for ING Research